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Verführt: Roman (German Edition)

Verführt: Roman (German Edition)

Titel: Verführt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Teresa Medeiros
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trieb.
    Nach dem sonnigen Himmel und den azurblauen Wassern der Kanarischen Inseln empfand sie den grauen Himmel des Nordatlantiks mit seinen bleischweren Wolken als beruhigend. Sie stand noch steif an der Reling, als der Tag schon in die Dämmerung verschwand. Ein Tag verging wie der andere.
    Gerard war wild entschlossen, sie nach London zurückzubringen, bevor ihnen der Admiral seine Häscher hinterherjagen konnte. Die Mannschaft der Retribution hatte sich nur knapp drei Tage lang unter seinen schroffen Kommandos abgeschuftet, dann war die alte Dame wieder seetüchtig. Einen neuen Vormast schlagen und einpassen, die verkohlten Reste der Schlacht von Deck schrubben, das schwarze Gewand aus Segeln flicken … den scharfzüngigen Oberkanonier im sandigen Erdreich begraben, das schon so viele seiner Seefahrergefährten willkommen geheißen hatte.
    Während dieser drei Tage und den zweieinhalb Wochen, die folgen sollten, hatte Gerard sich von ihr fern gehalten. Falls sie einander auf einer schmalen Deckspassage oder im dunkeln Frachtraum über den Weg liefen, erkundigte er sich freundlich nach ihrem Befinden und entschuldigte sich dann, wobei er es vermied, sie anzusehen, als fürchtete er, dass seine Augen verrieten, was sein Mund verschwieg.
    Die Mannschaft tat es ihm gleich und wirkte umso bedrückter, je näher sie dem Ärmelkanal kamen. Tams jugendlicher Übermut und Kevins Mädchen mordender Charme wichen dem blanken Trübsinn. Apollo sang keine fröhlichen Südseemelodien mehr, sondern wehmütige Spirituals, die von einer Heimat erzählten, die er sein Lebtag lang nicht mehr sehen würde. Lucy war durchaus der Ansicht, dass sie ihr lustiges kleines »Schoßhündchen« vermissen würden, wenn sie erst einmal fort war. Doch nach einer Weile würden sie sie vergessen. Und vielleicht besorgte der Captain ihnen dann ja dieses Schwein.
    In fahles Mondlicht getaucht, stand Lucy noch an der Reling, als der schlanke Bug der Retribution ins kabbelige Wasser des Ärmelkanals pflügte, mit gelöschten Laternen, weil ihr Kapitän Schleichfahrt befohlen hatte.
    Durch die schwermütige Dunkelheit, die über dem Schoner lastete, dröhnte von Backbord Gefechtslärm herüber. Lucy versuchte nicht weiter darauf zu achten, doch das Schiff war die letzten Tage über wahrhaftig ein Geisterschiff gewesen und jedes Zeichen von Leben war eine Abwechslung.
    Sie duckte sich unter einer Spiere durch und entdeckte an der Backbordreling Gerard und Apollo sowie Kevin, der in der Takelage des Fockmasts hing, als sei sie eine Hängematte. Beim Anblick von Gerards breiten Schultern, die sich gegen das Mondlicht abzeichneten, schlug Lucy das Herz schneller.
    »Ich dachte, Sie würden sich das genauer ansehen wollen, Captain«, sagte Apollo und reichte ihm ein Fernglas.
    Lucy bedurfte keines Fernglases, um in der Ferne die orangefarbenen Lichtblitze zu sehen, die sich klar und Furcht einflößend auf der düsteren Leinwand des Nachthimmels abzeichneten.
    »Soweit ich es beurteilen kann, handelt es sich um eine Fregatte der Royal Navy, die von zwei französischen Freibeuterschiffen unter Feuer genommen wird«, mutmaßte Apollo, während Gerard die Szenerie betrachtete.
    »Piraten, sollte das wohl heißen«, sagte Lucy grimmig und gesellte sich zu ihnen an die Reling. »Seit dem Frieden von Amiens führen wir keinen Krieg mehr gegen Frankreich. Napoleons Gefolgsleute vermutlich, die sich als gemeine Diebe maskiert haben.«
    Gerard hatte immer noch dieses rätselhafte Lächeln im Gesicht.
    »Ich bin dafür, gemeinsame Sache mit den Franzosen zu machen«, schlug Kevin gut gelaunt vor. »Wann hätte die Marine Seiner Majestät uns je einen Gefallen getan?«
    Gerard reichte das Fernglas wortlos an Lucy weiter. Kurz trafen sich ihre Blicke und berührten sich ihre Finger; der intimste Moment seit jenem Tag am Strand. Lucy hielt sich das schlanke Teleskop ans Auge und erfüllte ihm die wortlose Bitte.
    Die hilflose Fregatte stand unter dem heftigen Beschuss zweier baugleicher Rahsegler. Lucy konnte sehen, wie eine spektakuläre Breitseite einen zackigen Riss ins Achterschiff der Fregatte schlug. Langsam legte sich der Pulverdampf, während erneutes Kanonenfeuer die vertraute Galionsfigur des englischen Kriegsschiffs erhellte. Lucy keuchte entsetzt.
    »Was ist los?«, fragte Gerard.
    Sie ließ das Fernglas sinken und sah ihn mit angsterfülltem Gesicht an. »Die Courageous . Lord Howells Schiff. Er hat sich das Kommando nach seinen Siegen vor Kopenhagen

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