Verführt: Roman (German Edition)
sind, ist Ihr jämmerliches, kleines Leben diesem Doom keinen Pfifferling mehr wert.« Er drehte sich zu ihr um. »Der Admiral war bestimmt erfreut, dass Sie Ihr Talent in den Dienst einer solch noblen Sache gestellt haben.«
Lucy ließ sich an die Wand sinken, warf ihm einen verlegenen Blick zu und gestand leise: »Mein Vater hat die Skizzen nie gesehen. Keiner hat sie gesehen. Außer Ihnen.«
Claremont sank auf die Bettkante und glotzte sie an, als spräche sie einen fremdländischen Dialekt. Wohingegen Lucy überlegte, dass es jetzt wohl unpassend und bei weitem zu spät sei, ihn für sein schlechtes Benehmen zu tadeln.
»Ich nehme an, Sie sind nicht geneigt, mich den Grund wissen zu lassen?«
Sein sachlicher Tonfall beruhigte sie so weit, dass sie sich zum Bett wagte und ihm den Skizzenblock aus den kraftlosen Fingern zog. Sie hielt das Porträt Dooms ins Licht und fuhr mit den Fingerspitzen sacht über den kohleschattierten Bart. Sie war viel zu tief in Erinnerungen versunken, als dass sie Claremonts befremdliches Schaudern registriert hätte.
»Es wird Sie vermutlich schockieren, aber ich habe das Porträt stundenlang betrachtet und in diesem Gesicht immer nur Ehrenhaftigkeit entdeckt, einen gewissen Edelmut, könnte man sagen.«
»Ich bitte um Vergebung, aber sprechen wir von demselben Kerl? Dem mit der Kette aus Menschenohren um den Hals, der seinen Opfern bei lebendigem Leib das Herz herausreißt?«
Lucy fuhr zusammen. »Eine offenkundige Übertreibung, fürchte ich. Eine von vielen groben Ungerechtigkeiten, die ich dem Mann habe angedeihen lassen«
Claremonts Blick erstarrte. »Und was ist mit dem Unrecht, das er Ihnen angetan hat? Er hat Sie entführt, Sie als Futter für die Haie über Bord geworfen!«
Lucys Wangen nahmen wieder den schmerzhaften Rotton an, der sie plagte, seit sie Doom begegnet war. »Es geht nicht um das, was er mir angetan hat, Mr. Claremont, sondern um das, was er mir nicht angetan hat.«
Die leidenschaftlichen Worte hingen zwischen ihnen in der parfümierten Luft. Ein Gentleman hätte vorgegeben zu verstehen. Claremont war kein Gentleman.
Er lehnte sich auf die Ellenbogen und wirkte auf erschreckende Weise daheim in Lucys zerwühltem Bett. »Sprechen Sie weiter«, sagte er.
Sie schlang die Finger ineinander und zerknitterte, ohne es zu wollen, den Rand der Zeichnung. »Sie wissen so gut wie ich, dass er mich in Anbetracht der Umstände leicht … leicht hätte …« Sie suchte nach einer eleganten Umschreibung.
»Vergewaltigen können?«, schlug Claremont ungerührt vor. »Ihre Unschuld rauben und Sie leblos liegen lassen?« Lucy hätte in Anbetracht der groben Unverblümtheit verletzt sein müssen. Doch sie war wie gelähmt vom unheiligen Schalk in seinem Blick und von seinem schwarzen Humor. Er zeigte auf die Skizzen. »Sie haben diesen Mann seiner zweifelhaften Zurückhaltung wegen also die ganze Zeit lang beschützt?«
Sie nickte. »Das Mindeste, was ich tun konnte, nachdem ich ihn so schrecklich verkannt hatte.«
Claremont erhob sich vom Bett, hochgewachsener, als Lucy ihn erinnerte, und jede Spur von Spott und Belustigung schwand aus seinem Gesicht. »Sie brauchen wirklich keine Romane zu lesen, Miss Snow. Sie leben in einem. Aber Ihren hoffnungslos romantischen Fantastereien zum Trotz ist dieser Doom kein unverstandener Heros, sondern ein verzweifelter, ruchloser Schurke, der nichts mehr zu verlieren hat.«
»Sie tun gerade so, als würden Sie ihn kennen.«
»Ich kenne andere Männer wie ihn. Was sich in meinem Beruf kaum vermeiden lässt.« Er kam auf sie zu, doch diesmal wich Lucy nicht zurück. Zum ersten Mal schlich sich der beißende Tonfall der Gosse in die Stimme ihres Leibwächters. »Und keiner von diesen verfluchten Kerlen hätte sich von einem verwöhnten, einsamen Mädchen …«
»Ich bin aber nicht …«, fing Lucy gekränkt zu protestieren an.
Doch was folgte, beraubte sie ihres Widerspruchsgeistes.
»… wie atemberaubend schön dieses Mädchen auch sei, seine Pläne durchkreuzen lassen.« Claremont packte sie mit unerbittlichem Griff am Kinn. »Falls Sie je wieder auf Doom treffen sollten, dann machen Sie, Gott behüte, nicht den Fehler, ihn zu unterschätzen. Er ist möglicherweise nicht der Gentleman, für den Sie ihn halten.«
Lucy blinzelte die Tränen fort, während Claremont ihr Idol vom Sockel stieß, und mühte sich verzweifelt, ihn nicht merken zu lassen, wie tief seine Worte sie trafen. »Sie halten mich also für eine
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