Verführt: Roman (German Edition)
verdrückte.
Sein Blick wanderte zur Tochter des Admirals zurück. Lucy hatte klugerweise auf eine übertriebene Kostümierung verzichtet und sich für ein klassisches Kleid im griechischen Stil entschieden mit einer Halbmaske aus derselben weißen Seide. Ein goldener Reif hielt das Haar aus der Stirn. Eine unerklärliche Traurigkeit haftete ihr an, prägnant und unwiderstehlich wie die Limonenessenz, die er selbst jetzt noch roch, wo ihn eine undurchdringliche Glaswand von ihr trennte.
Sie trieb auf einem See aus glitzernden Lichtern und lachenden Menschen dahin. Als Kind hatte Gerard sich solche Orte nur erträumt. Sie waren so weit entfernt gewesen wie der einsame Stern, der hoch über den regenschweren Wolken aufblitzte. So unwirklich wie der weite Ozean, der nur in seiner Fantasie existierte. So unerreichbar wie der Himmel selbst oder die Liebe einer Frau namens Lucy Snow.
Lucys mutiges Geständnis klang durch sein Herz wie eine bittersüße Melodie. Er ballte die Hände zu Fäusten und spürte wieder jenen blindwütigen Ehrgeiz, der ihn schon einmal seine Freiheit und seinen Namen gekostet hatte. Man hatte ihn in seinem Leben zu vieler Nächte wie dieser hier beraubt. Diesmal nicht. Eine gestohlene Nacht nur, und die süße Erinnerung würde ihn ein Leben lang begleiten.
Er blickte missmutig an der abgetragenen Hose hinab zu den abgenutzten Stiefeln. Was, zur Hölle, sollte das für eine Maskerade sein? Der Niedrigste aller Knechte? Lucy Snows Untergebener?
»Sie da, Bursche! Können Sie mir helfen?«
Ein Mann in makelloser Abendkleidung kam auf ihn zugehumpelt.
»Mir scheint, ich bin in etwas Unerfreuliches getreten«, fuhr er in einem derart hochmütigen Tonfall fort, dass Gerard schon mutmaßte, die schwarze Halbmaske drücke dem Mann die Nase zu. »Ich habe Lord Howell wegen dieser verfluchten Spaniels gewarnt. Züchten Sie lieber Mastiffs, habe ich gesagt! Diese verzärtelten Kläffer hier haben einfach keine Manieren. Ob Sie wohl einen Lumpen haben, damit ich meinen Absatz säubern kann? Ich habe mich ohnehin schon schrecklich verspätet.«
Der Mann verwechselte ihn offensichtlich mit einem von Lord Howells Bediensteten, einem Gärtner vielleicht oder einem schlecht gekleideten Diener. Gerard wollte dem aufgeblasenen Gockel schon sagen, er solle sich die Absätze lieber selber sauber lecken, doch dann verharrte er. Er studierte den Fremden vom blendend weißen, perfekt geschlungenen Halstuch bis zu den schmal zulaufenden Hosenbeinen. Danach warf er einen kurzen, fragenden Blick zum Himmel und wusste gleichzeitig, dass ihm so viel Glück eigentlich nicht zustand.
»Na los jetzt, ich habe nicht die ganze Nacht lang Zeit«, fauchte der Mann und zog die rüschenbesetzten Manschetten glatt. »Ihr Taschentuch reicht völlig. Helfen Sie mir jetzt oder nicht?«
Gerard zwinkerte hinter seinen Augengläsern und setzte ein katzenhaftes Lächeln auf. »Kommen Sie doch hierher ins Gebüsch, Sir. Ich bin genau der richtige Mann für Sie.«
Lucy stöhnte, als Sylvies elfjähriger Bruder ihr heftig auf die Zehen stieg.
»Entschuldigung«, murmelte er mit scharlachroten Wangen. »Ich hoffe, mein Tanzlehrer hat es nicht gesehen. Sonst zieht er mir morgen die Ohren lang.«
»Sag ihm einfach, dass es mein Fehler war«, flüsterte Lucy auf die dunklen Locken herab, die ihr gerade bis ans Kinn reichten.
»Das könnte ich nie, Miss Lucy.« Er schaute bewundernd zu ihr auf. »Sie sind die Beste von allen Tänzerinnen, und Sie waren tapfer genug, es mit Captain Doom aufzunehmen.«
Er verkniff sich gerade noch ein unhöfliches »Autsch«, als Lucy ihm ihrerseits voll auf die Zehen trat. Wie hätte Lucy dem ernsthaften kleinen Jungen auch erklären sollen, dass ein Mann aus Fleisch und Blut den fabelhaften Captain Doom dahin verbannt hatte, wo er hingehörte, in den hintersten Winkel der Fantasie?
Weil ihr keine Antwort einfiel, entschuldigte sie sich liebenswürdig und machte sich auf die Suche nach einem frischen Glas Champagner. Als sie Lord Howell entdeckte, der angelegentlich die Menge nach ihr durchforstete, duckte sie sich hinter eine palavernde Gruppe von Gästen. Als wollten sie das ungehobelte Verschwinden des Admirals wieder gutmachen, hatten Sylvie und ihre Mutter sämtliche Männer des Howell-Clans auf Lucy angesetzt, und Lucy fürchtete schon, dass sie irgendwann noch mit Gilligan über die Tanzfläche watscheln würde.
Nichts wünschte sie sich mehr, als dem nervtötenden Geschwätz und der
Weitere Kostenlose Bücher