Verführt von einer Lady
Eltern seien nicht verheiratet gewesen?“, gab Thomas zurück. „Ich habe dich gefragt, ob deine Eltern verheiratet waren. Du hättest einfach Nein sagen können.“
„Ich wusste doch nicht, dass ich in der Erbfolge als Nächster stand, als du meine Legitimität infrage gestellt hast.“
Thomas starrte auf das Register hinunter. Nur ein Buch – nein, nur eine Seite in einem Buch. Mehr stand nicht zwischen ihm und allem, was ihm vertraut war, allem, was er für wahrhaftig hielt.
Es war verlockend. Er konnte es schmecken – Verlangen, Gier. Auch Furcht. Eine ziemlich unangenehme Dosis.
Er könnte die Seite herausreißen, und niemand würde je davon erfahren. Die Seiten waren nicht einmal durchnummeriert. Wenn sie sie vorsichtig genug herauslösten, würde niemand bemerken, dass etwas fehlte.
Das Leben würde wieder seinen normalen Gang gehen. Er würde nach Belgrave Castle zurückkehren und dort weitermachen, wo er aufgehört hatte, mit demselben Besitz, denselben Pflichten, derselben Verantwortung.
Einschließlich Amelia.
Sie hätte längst seine Herzogin sein sollen. Er hätte die Hochzeit nie so lange hinauszögern dürfen.
Wenn er diese Seite herausriss …
„Hast du das gehört?“, zischte Jack.
Thomas sah auf, neigte das Ohr unwillkürlich zum Fenster.
Pferde.
„Sie sind da“, sagte Thomas.
Jetzt oder nie.
Er starrte auf das Register.
„Ich kann nicht“, flüsterte er schließlich.
Und dann ging alles ganz schnell. Jack stieß ihn zur Seite. Thomas konnte gerade noch den Kopf zurückreißen, als Jack mit beiden Händen nach dem Register griff … und es zerriss.
Thomas warf sich auf ihn, versuchte, ihm das Blatt Papier abzunehmen, aber Jack entwand sich ihm und sprang zum Kaminfeuer.
„Jack, nein!“, schrie Thomas, aber Jack war zu schnell. Gerade als Thomas ihn am Arm zu fassen bekam, schleuderte Jack die Seite in die Flammen.
Thomas stolperte rückwärts, entsetzt von dem Anblick, der sich ihm bot. Die Flammen erfassten die Seite als Erstes in der Mitte und brannten ein Loch hinein. Dann rollten sich die Ecken ein, wurden schwarz und zerfielen.
Zu Ruß und Asche.
Zu Staub.
„Herr im Himmel“, flüsterte Thomas. „Was hast du getan?“
Amelia hatte gedacht, dass sie die Worte „schlimmster Tag“ und „meines Lebens“ nie wieder im selben Atemzug denken müsste. Nach der Szene im Salon von Belgrave, als zwei Männer beinahe handgreiflich wurden bei ihrer Auseinandersetzung, wer von beiden nun gezwungen wäre, sie zu heiraten – nun, eigentlich hätte man meinen sollen, dass einem eine derart tiefe Demütigung nur einmal im Leben passierte.
Ihr Vater hatte davon jedoch offenbar noch nichts gehört.
„Papa, hör auf“, flehte sie und stemmte die Absätze in den Boden – was durchaus wörtlich zu verstehen war –, während er versuchte, sie durch die Tür ins Pfarrhaus von Maguiresbridge zu zerren.
„Man sollte meinen, dass du ein wenig erpichter darauf wärst, eine Antwort zu erhalten“, erklärte er ungeduldig. „Ich bin’s, weiß Gott.“
Der Vormittag war schrecklich gewesen. Als die Herzoginwitwe entdeckt hatte, dass die beiden Männer ohne sie zur Kirche aufgebrochen waren, drehte sie vollkommen durch – und das war nicht übertrieben. Noch entsetzlicher war die Schnelligkeit, mit der sie sich erholte. Der Zorn der Herzoginwitwe verwandelte sich in eisige Entschlossenheit, und die fand Amelia noch viel furchteinflößender als ihren Zorn. Sobald sie herausgefunden hatte, dass Grace nicht beabsichtigte, sie nach Maguiresbridge zu begleiten, packte sie die Freundin am Arm und zischte ihr ins Ohr: „Lass mich bloß nicht allein mit dieser Frau.“
Grace hatte sie zu beruhigen versucht, dass sie ja gar nicht allein sein würde, aber Amelia wollte nichts davon hören und weigerte sich, ohne sie aufzubrechen. Und da Lord Crowland nicht ohne seine Tochter fahren wollte und sie Mrs. Audley brauchten, damit sie ihnen den Weg zur richtigen Kirche wies …
… war die Kutsche, die sich ins County Fermanagh aufmachte, ziemlich voll.
Amelia saß mit Grace und Mary Audley auf einer Seite der Kutsche zusammengepfercht. Dass sie entgegen der Fahrtrichtung saß, hätte Amelia nichts ausgemacht, aber sie saß der Herzoginwitwe direkt gegenüber, und die hörte nicht auf, die arme Mrs. Audley zu löchern, wann sie ihr Ziel endlich erreicht hätten. Was bedeutete, dass Mrs. Audley sich ständig umdrehen musste und dann gegen Grace stieß, die wiederum Amelia anstieß,
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