Verführt von einer Lady
sollte ab heute alles anders werden. Sie war mit Thomas fertig geworden, und wenn es sein musste, wurde sie auch mit diesen beiden fertig.
„Lady Amelia“, erwiderte er und hob das Kinn.
„Wäre es unhöflich, wenn Miss Eversleigh und ich ein wenig im Zimmer auf und ab gingen?“
„Natürlich nicht“, sagte er sofort, obwohl es durchaus unhöflich war, schließlich waren sie zu dritt, und sie schloss ihn einfach aus.
„Danke für Ihr Verständnis“, sagte Amelia, hängte sich bei Grace ein und zog sie auf die Füße. „Ich habe wirklich das Bedürfnis, mir die Beine zu vertreten, befürchte aber, dass Sie viel zu große Schritte machen würden, als dass eine Dame bei Ihnen mithalten könnte.“
Lieber Himmel, sie konnte gar nicht fassen, dass sie einen solchen Unsinn von sich gab, aber offenbar funktionierte es. Mr. Audley sagte nichts mehr, und so lenkte sie Grace zu einer Stelle am Fenster.
„Ich muss mit dir reden“, wisperte sie, während sie gemessenen Schrittes durchs Zimmer schlenderten.
Grace nickte.
„Heute Morgen“, fuhr Amelia fort und schaute verstohlen zu Mr. Audley, um zu sehen, ob er sie beobachtete (was er natürlich tat), „hat Wyndham Unterstützung gebraucht, und ich bin ihm zu Hilfe geeilt. Aber ich musste meiner Mutter erzählen, dass ich dich getroffen hätte und dass du mich nach Belgrave eingeladen hättest.“
Grace nickte noch einmal, den Blick geradeaus gerichtet, dann zur Tür, aber nie auf sie.
„Vermutlich wird es nicht so weit kommen, aber solltest du meiner Mutter begegnen, bitte ich dich, mir nicht zu widersprechen.“
„Natürlich nicht“, sagte Grace rasch. „Darauf gebe ich dir mein Wort.“
Amelia nickte, leicht überrascht, dass es so einfach gewesen war. Zwar hatte sie nicht erwartet, dass Grace ablehnen würde, aber doch gedacht, sie müsse ihr ein gewisses Maß an Erklärung liefern. Grace hatte nicht einmal gefragt, warum Wyndham Unterstützung gebraucht hatte. Ein wenig neugierig hätte sie sich da schon zeigen müssen. Wyndham hatte schließlich noch nie irgendwelche Unterstützung gebraucht.
Sie verstummten, als sie an Mr. Audley vorbeikamen, der seinerseits recht amüsiert wirkte von dem Schauspiel, das sie boten.
„Miss Eversleigh“, murmelte er. „Lady Amelia.“
„Mr. Audley“, erwiderte Amelia, und Grace tat es ihr nach.
Sie setzten ihren Weg fort, und sobald sie außer Hörweite waren, nahm Amelia die Unterhaltung wieder auf. „Ich hoffe, es ist nicht zu viel verlangt“, flüsterte sie. Grace war sehr still, und Amelia war sich durchaus bewusst, dass es keine Kleinigkeit war, Grace zum Lügen aufzufordern.
Sie hörten Schritte auf dem Gang, worauf Grace zur Tür herumfuhr. Aber es war nur ein Lakai, der mit einem Koffer vorbeikam, leer vermutlich, da er ihn mühelos auf einer Schulter balancierte.
„Tut mir leid“, sagte Grace. „Hast du etwas gesagt?“
Amelia wollte schon ansetzen, das Gesagte zu wiederholen, überlegte es sich dann aber anders. „Nein.“ So unkonzentriert hatte sie Grace noch nie erlebt.
Sie nahmen ihren Weg wieder auf, immer an der Wand entlang. Als sie das nächste Mal an der Tür vorbeikamen, waren wieder Schritte im Flur zu hören.
„Entschuldige mich“, sagte Grace, entzog sich Amelia und lief zum Gang. Kurz darauf kehrte sie zurück. „Es war nicht der Duke“, sagte sie.
Amelia sah durch die offene Tür. Draußen marschierten zwei Lakaien vorbei, der eine mit einem Koffer, der andere mit einer Hutschachtel.
„Verreist bei euch jemand?“, fragte Amelia.
„Nein“, erwiderte Grace. „Nun ja, irgendwer wohl schon, aber ich weiß nichts davon.“
Ihre Stimme klang so unruhig und schroff, dass Amelia schließlich fragte: „Grace, ist mit dir alles in Ordnung?“
Sie drehte den Kopf, aber nicht so weit, dass Amelia ihr in die Augen hätte sehen können.
„O nein … ich meine, ja, mir geht es prima.“
Amelia sah sich nach Mr. Audley um. Er winkte. Sie drehte sich wieder zu Grace, deren Gesicht plötzlich tiefrot angelaufen war.
Was Grund genug war, wieder zu Mr. Audley zu schauen. Der sah Grace an. Auch wenn die beiden Damen Arm in Arm und eng nebeneinander standen, war ziemlich eindeutig, wem der schwüle Blick galt.
Grace wusste es auch. Sie hielt den Atem an und erstarrte am ganzen Körper. Amelia konnte spüren, wie sie sich anspannte.
Und dann kam ihr ein ganz wunderbarer Gedanke.
„Grace“, flüsterte sie und bemühte sich, besonders leise zu sprechen, „bist du
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