Verführt von einer Lady
küsste sie. Es war eine Verzweiflungstat, geboren nicht aus Begierde, sondern aus Schmerz, und er küsste sie immer weiter, weil er hoffte, dass sich der Kuss doch noch in etwas anderes verwandelte, dass doch noch ein Funke zwischen ihnen zünden würde, wenn er sich nur lange genug bemühte, und er dann vergessen könnte …
„Aufhören!“ Sie schob ihn weg. „Warum tun Sie das?“
„Ich weiß nicht“, meinte er und zuckte hilflos mit den Schultern. Das war die Wahrheit. „Ich bin hier, Sie sind hier …“
„Ich gehe.“ Aber er hatte eine Hand noch auf ihrem Arm. Er sollte sie loslassen. Er wusste das, brachte es aber einfach nicht fertig. Auch wenn sie nicht die richtige Frau war, war sie vielleicht … vielleicht doch nicht ganz falsch für ihn. Vielleicht konnten sie beide sich miteinander einrichten.
„Ah, Grace“, sagte er. „Ich bin nicht länger Wyndham. Das wissen wir beide.“ Er zuckte mit den Schultern und streckte ihr dann ergeben die Hand hin. Es fühlte sich an, als erlaubte er sich endlich, sich ins Unvermeidliche zu schicken.
Verwundert sah sie ihn an. „Thomas?“
Ohne recht zu wissen, woher dieser Gedanke kam, sagte er: „Warum heiraten Sie mich nicht, wenn das alles vorüber ist?“
„Was?“ Entsetzt sah sie auf. „Oh, Thomas, Sie sind doch übergeschnappt.“
Aber sie zuckte nicht vor ihm zurück.
„Was sagen Sie dazu, Gracie?“ Thomas legte einen Finger unter ihr Kinn, hob ihr Gesicht an, damit sie ihn ansah.
Sie sagte nicht Ja, aber sie sagte auch nicht Nein. Er wusste, dass sie an Audley dachte, aber in diesem Augenblick war es ihm einfach egal. Für ihn fühlte sie sich an wie die letzte Hoffnung, seine letzte Chance, nicht den Verstand zu verlieren.
Er beugte sich vor, um sie noch einmal zu küssen, hielt dabei inne, um sich ihrer Schönheit zu vergewissern. Das dichte, dunkle Haar, die herrlichen blauen Augen – eigentlich hätte ihm das Herz bis zum Halse klopfen müssen. Wenn er sie jetzt an sich drückte, würde sein Körper darauf reagieren?
Aber er tat es nicht. Er wollte nicht. Es fühlte sich falsch an, er fühlte sich beinahe schmutzig, nur daran zu denken, und als Grace den Kopf abwandte und flüsterte: „Ich kann nicht“, unternahm er nichts, um sie davon abzuhalten. Stattdessen legte er das Kinn auf ihren Kopf und umarmte sie, wie er eine Schwester umarmt hätte.
Es drehte ihm fast das Herz um, und er wisperte: „Ich weiß.“
„Euer Gnaden?“
Es war am nächsten Morgen, und Thomas saß an seinem Schreibtisch und fragte sich, wie lange er wohl noch mit diesem Titel angesprochen werden würde. Sein Butler stand in der Tür und wartete auf Antwort.
„Lord Crowland ist gekommen, um Sie zu sehen, Sir“, sagte Penrith. „Mit Lady Amelia.“
„Um diese Uhrzeit?“ Er blinzelte und wollte auf die Uhr schauen, die aber unerklärlicherweise verschwunden war.
„Es ist halb zehn“, informierte Penrith ihn. „Und die Uhr ist in Reparatur.“
Thomas presste die Finger an die Nasenwurzel, wo sich anscheinend sämtliche Nachwirkungen der Flasche Brandy vom Abend davor konzentrierten. „Ich dachte schon, ich verliere den Verstand“, murmelte er. Obwohl die verschwundene Uhr wohl noch das geringste Symptom wäre.
„Sie sind im rosa Salon, Sir.“
Wo er vor wenigen Stunden noch Grace malträtiert hatte. Na, wunderbar.
Thomas wartete darauf, dass Penrith sich entfernte, und schloss dann voll Scham die Augen. Lieber Gott, er hatte Grace geküsst. Hatte das arme Mädchen in die Arme gerissen und geküsst. Was zum Teufel hatte er sich nur dabei gedacht?
Und doch … konnte er es nicht bereuen. In dem Moment war es ihm richtig erschienen. Wenn er Amelia nicht haben konnte …
Amelia .
Ihr Name brachte ihn zurück in die Gegenwart. Amelia war hier. Er durfte sie nicht warten lassen.
Er stand auf. Sie hatte ihren Vater mitgebracht, was ja nie ein gutes Zeichen war. Thomas verstand sich ganz gut mit Lord Crowland, aber er konnte sich keinen Grund denken, warum ihm dieser Mann in aller Herrgottsfrühe einen Besuch abstatten sollte. Er konnte sich nicht mal erinnern, wann der Earl ihm das letzte Mal die Ehre erwiesen hatte.
Lieber Gott, hoffentlich hatte er seine Jagdhunde nicht dabei. Für so etwas hatte er wirklich viel zu starke Kopfschmerzen.
Zum rosa Salon war es nicht weit, nur ein Stück den Flur hinunter. Als er den Raum betrat, erblickte er als Erstes Amelia, die auf dem Sofa saß und aussah, als wünschte sie sich weit fort. Sie
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