Verführt von einer Lady
wissen Sie doch ganz genau.“
„Thomas“, sagte Grace in einem Versuch zu vermitteln.
Er dachte daran, was für bittere Gefühle er für sie hegte. „Ach, jetzt sind wir wieder bei Thomas, was?“
In seiner üblichen lässigen Art wandte Audley sich an Grace und meinte: „Ich glaube, er hat ein gewisses tendre für Sie, Miss Eversleigh.“
„Seien Sie nicht albern“, erwiderte Grace sofort.
Und Thomas fragte sich: Warum nicht? Warum hatte er kein tendre für Grace? Das wäre sehr viel weniger kompliziert als sein wachsendes Verlangen nach Amelia.
Jedenfalls amüsierte ihn, dass Audley das glaubte, und so verschränkte er die Arme und sah ihn von oben herab an.
Audley lächelte, und seine Miene war eine einzige Herausforderung. „Ich möchte Sie nicht von Ihren Pflichten abhalten.“
„Ah, jetzt sind es wieder meine Pflichten?“
„Solange das Haus noch Ihnen gehört.“
„Es ist nicht einfach nur ein Haus, Audley.“
„Glauben Sie, das weiß ich nicht?“ Etwas blitzte in seinem Blick auf, etwas anderes, vollkommen Neues. Verblüfft erkannte Thomas, dass es sich dabei um Furcht handelte. Audley hatte eine Heidenangst davor, dass man ihm den Titel übertragen könnte.
Mit gutem Grund.
Zum ersten Mal empfand Thomas eine Spur Respekt für den anderen Mann. Wenn er genug wusste, um Furcht zu empfinden …
Nun, zumindest hieß das, dass Audley kein kompletter Dummkopf war.
„Entschuldigen Sie mich“, sagte Thomas, denn er fühlte sich plötzlich ein wenig benommen. Zum Teil war daran natürlich der Brandy schuld, aber auch diese Begegnung. Niemand war so, wie er sein sollte – weder Grace noch Audley, und erst recht nicht er selbst.
Er machte auf dem Absatz kehrt und warf die Tür energisch hinter sich ins Schloss. Zwar würde er sie draußen noch hören können, wenn sie etwas sagten, aber sicher wären sie nicht so dumm, dort zu bleiben. Sie würden irgendwo anders hingehen, um zu lachen und zu flirten. Audley würde versuchen, Grace zu küssen, und vielleicht würde sie es ihm erlauben, und die beiden wären glücklich, zumindest an diesem einen Tag.
Thomas setzte sich in seinen Sessel, starrte aus dem Fenster und fragte sich, warum er nicht weinen konnte.
Später an diesem Abend saß Thomas in seinem Arbeitszimmer, vorgeblich, um seine Angelegenheiten zu sichten. In Wahrheit wollte er nur ein wenig allein sein. Dieser Tage genoss er die Gesellschaft anderer nicht besonders, vor allem, wenn diese „anderen“ aus seiner Großmutter, seinem neuen Vetter und Grace bestanden.
Mehrere Rechnungsbücher lagen offen auf seinem Schreibtisch, mit sauber geführten Zahlenkolonnen, alle von ihm höchstpersönlich eingetragen. Natürlich wurde der Verwalter von Belgrave dafür bezahlt, die Rechnungsbücher zu führen, aber Thomas hatte gern seine eigenen Bücher. Irgendwie prägten sich die Informationen anders ein, wenn er selbst sie niedergeschrieben hatte. Vor ein paar Jahren hatte er versucht, diese Gewohnheit abzulegen, da es unsinnig erschien, die Bücher doppelt zu führen, doch im Zuge dieses Versuchs hatte er das Gefühl gehabt, vollkommen die Übersicht zu verlieren.
Der Duke musste aber die Übersicht behalten. Wyndham war eine schwere Verantwortung, der Besitz war über das ganze Königreich verteilt. Würde Audley das erkennen können? Würde er es respektieren, oder würde er die Entscheidung auf diverse Verwalter und Sekretäre abwälzen, wie Thomas es bei so vielen seiner Zeitgenossen beobachtet hatte, meist mit katastrophalen Ergebnissen?
Konnte man sich angemessen um ein solches Erbe kümmern, wenn man nicht dazu geboren war? Thomas hielt es in Ehren, aber er hatte auch ein Leben lang Zeit gehabt, das Land lieben und kennenzulernen. Audley war erst letzte Woche gekommen. Konnte er da überhaupt verstehen, was es alles bedeutete? Oder lag es irgendwie im Blut? Hatte er Belgrave betreten und gedacht: Aha, hier ist mein Zuhause ?
Unwahrscheinlich. Nicht nachdem er von seiner Großmutter willkommen geheißen wurde.
Thomas rieb sich die Schläfen. Das alles machte ihm Sorgen. Möglicherweise ging alles in die Binsen. Nicht sofort natürlich, dazu hatte Thomas den Besitz zu gut geführt. Aber im Lauf der Zeit könnte Audley durchaus alles zugrunde richten, ohne es überhaupt zu wollen.
„Das ist dann nicht mehr mein Problem“, sagte Thomas laut. Er wäre nicht mehr der Herzog. Verdammt, er würde vermutlich nicht mal in Lincolnshire bleiben. Gab es im Testament seines
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