Verführt von einer Lady
gesunken wäre: Er wäre in den Krieg gegen Napoleon gezogen, Jack hätte zu Hause bleiben müssen.
Belgrave war der Mittelpunkt seiner Welt, von dem er sich nicht weit entfernte. Plötzlich kam ihm das alles so eng vor. Und beengend.
Als er sich wieder umdrehte, war Amelia allein. Sie beschattete die Augen mit der Hand. Thomas sah sich um, doch Grace war nirgends zu sehen. Bis auf einen jungen Burschen, der am Bug Knoten in ein Seil knüpfte, war sonst niemand in der Nähe.
Seit jenem Nachmittag auf Belgrave hatte er nicht mehr mit ihr gesprochen. Nein, das stimmte nicht ganz. Er war sich ziemlich sicher, dass sie seither hin und wieder ein Verzeihen Sie und vielleicht das eine oder andere Guten Morgen getauscht hatten.
Aber er hatte sie gesehen. Aus der Ferne beobachtet. Auch aus der Nähe, wenn sie gerade nicht hinsah.
Ihn überraschte – und das hatte er nicht erwartet –, wie sehr es wehtat, sie einfach nur anzusehen. Zu sehen, wie furchtbar unglücklich sie war. Zu wissen, dass er zumindest teilweise dafür verantwortlich war.
Aber was hätte er denn tun sollen? Aufstehen und sagen: Ähm, eigentlich glaube ich, ich würde Sie jetzt doch gern heiraten, jetzt, wo meine Zukunft vollkommen im Ungewissen liegt …? O ja, das wäre sicher auf allgemeinen Beifall gestoßen.
Er musste tun, was am besten war. Was richtig war.
Amelia würde es verstehen. Sie war eine kluge junge Frau. War er nicht im Lauf der letzten Woche zu der Erkenntnis gelangt, dass sie weitaus intelligenter war, als er gedacht hatte? Praktisch veranlagt war sie auch. Und in der Lage, Dinge anzugehen.
Das mochte er an ihr.
Bestimmt sah sie ein, dass es in ihrem Interesse lag, den Duke of Wyndham zu heiraten, egal, wer er war. So war es geplant gewesen. Für sie und für die Herzogswürde.
Und es war ja nicht so, als wäre sie in ihn verliebt.
Jemand rief etwas – es klang nach dem Kapitän –, worauf der Knabe seine Knoten fallen ließ und davonlief. Amelia und er blieben allein an Deck zurück. Er wartete einen Augenblick, um ihr die Möglichkeit zu geben, sich zurückzuziehen, wenn sie nicht Gefahr laufen wollte, mit ihm sprechen zu müssen. Aber sie blieb, und so ging er zu ihr und nickte ihr ehrerbietig zu, als er an ihrer Seite war.
„Lady Amelia.“
Sie sah auf und senkte den Blick gleich wieder. „Euer Gnaden.“
„Darf ich mich zu Ihnen gesellen?“
„Natürlich.“ Sie rückte ein Stück zur Seite, so weit, wie ihr die Bank Platz ließ. „Grace musste nach unten gehen.“
„Die Herzoginwitwe?“
Amelia nickte. „Sie wünschte, dass Grace ihr Luft zufächelt.“
Thomas konnte sich nicht vorstellen, dass die dicke Luft, die unter Deck herrschte, dadurch verbessert werden würde, wenn man ein wenig mit dem Fächer darin herumrührte, aber vermutlich war es seiner Großmutter egal. Höchstwahrscheinlich brauchte sie nur jemanden, bei dem sie sich beschweren konnte. Oder über den sie sich beschweren konnte.
„Ich hätte sie begleiten sollen“, sagte Amelia reuig. „Das wäre nett gewesen, aber …“ Sie stieß die Luft aus und schüttelte den Kopf. „Ich konnte einfach nicht.“
Thomas wartete einen Moment, für den Fall, dass sie noch etwas sagen wollte. Doch sie war fertig, was bedeutete, dass es keine Entschuldigung mehr für sein eigenes Schweigen gab.
„Ich bin hergekommen, um mich bei Ihnen zu entschuldigen“, sagte er. Die Worte kamen ihm nur schwer über die Lippen. Er war es nicht gewohnt, sich zu entschuldigen. Denn er war es nicht gewohnt, sich so zu verhalten, dass er sich für irgendetwas entschuldigen musste.
Sie sah ihn an, und ihr Blick war erstaunlich direkt. „Wofür?“
Was für eine Frage. Er hatte nicht erwartet, dass sie ihn zwang, es auszusprechen. „Für das, was auf Belgrave geschehen ist“, versetzte er, in der Hoffnung, dass er nicht noch weiter ins Detail zu gehen brauchte. Gewisse Erinnerungen wollte man nicht in aller Klarheit behalten. „Es lag nicht in meiner Absicht, Ihnen Kummer zu bereiten.“
Sie blickte am Schiff entlang. Ihre Haltung wirkte melancholisch und nachdenklich, fast resigniert. Er fand es furchtbar, dass er zum Teil dafür verantwortlich war.
„Es … tut mir leid“, sagte er langsam. „Sie haben sich wohl unerwünscht gefühlt. Das lag nicht in meiner Absicht. Ich würde nie wollen, dass Sie sich so fühlen.“
Sie wandte ihm immer noch das Profil zu und blickte starr geradeaus. Er sah, wie sie die Lippen zusammenpresste und vorschob, und ihr
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