Verfuehrt von so viel Zaertlichkeit
regelrecht zwingen, ihn freudig zu begrüßen, als er sich ebenfalls erhob, um sie in die Arme zu nehmen. Seine Schultern waren gebeugt, sein Haar war ergraut und sein Gesicht von tiefen Falten zerfurcht.
Und das war ihre Schuld.
Bei jedem Besuch zu Hause wurde Jane erneut von erdrückenden Schuldgefühlen überwältigt. Hätte sie sich nicht in Paul verliebt und ihn geheiratet, hätte ihr Vater ihm nicht als seinem Nachfolger immer größere Bereiche des Unternehmens überlassen, immer mehr Vertrauen geschenkt, immer mehr Handlungsfreiheit eingeräumt…
Hätte, hätte, hätte…
Paul hatte das in ihn gesetzte Vertrauen schändlich missbraucht.
Sie war verzweifelt darüber, dass der Mann, den sie sich ausgesucht und geheiratet hatte, ihre Eltern um den gesicherten Lebensabend betrogen hatte, auf den sie sich so gefreut hatten.
“Du siehst wunderbar aus, Darling!” David Smythe-Roberts hielt sie auf Armeslänge von sich und betrachtete sie stolz. Für einen Moment leuchteten seine Augen, die ebenso braun waren wie ihre, auf.
“Du auch, Dad”, antwortete sie, nicht weil sie es so meinte, sondern um ihn aufzuheitern.
Ihr Vater hatte vor drei Jahren mehr verloren als seine Firma, so zum Beispiel seine Selbstachtung. Das große Elektronikunternehmen, das er selbst aufgebaut hatte, sein Lebenswerk, hatte Konkurs anmelden müssen. Damals war er achtundfünfzig gewesen und hatte nicht mehr die Kraft gehabt, noch einmal von vorn zu beginnen.
So lebten David und Daphne Smythe-Roberts jetzt in einfachsten Verhältnissen, statt die Reisen zu machen, die sie sich für Ihren Lebensabend vorgenommen hatten. Und Jane gab sich die Schuld daran.
“Täusche ich mich, oder siehst du wirklich etwas blass aus, Janette? Arbeitest du vielleicht zu viel?”
Auch ihre Eltern fühlten sich ihr gegenüber schuldig. Ein Leben als Inhaberin eines Partyservice, die für andere Frauen Küchendienste verrichtete, war nicht das, was sie für ihre geliebte einzige Tochter geplant hatten. Aber nach dem, was vor drei Jahren passiert war, konnten sie ihr nur noch moralische Unterstützung bieten.
Mit unermüdlicher Arbeit hatte sie in den letzten zwei Jahren ihr Einkommen erheblich gesteigert. Sie war jetzt nicht nur finanziell unabhängig, sondern konnte ihre Eltern auch in bescheidenem Rahmen unterstützen. Bevor sie nachher wieder fuhr, würde sie heimlich zu Mrs. Weaver in die Küche gehen und einen Räucherlachs für ihre Mutter und einige Flaschen des Lieblingswhiskys ihres Vaters und andere Leckerbissen in die Speisekammer bringen. Sie war sich sicher, dass ihre Mutter davon wusste, denn sie war es, die mit Mrs.
Weaver das Haushaltsgeld abrechnete. Aber weder Mutter noch Tochter hatten je ein Wort darüber verloren.
“Mein Job wird mir wirklich nicht zu viel”, beruhigte Janette Smythe-Roberts ihre Mutter. Einst war sie Janette Granger gewesen, aber sie hatte den verhassten Namen mit dem Ehering für immer abgelegt und war stattdessen Jane Smith geworden, eine hervorragende Köchin mit einer cleveren Geschäftsidee. “Ich kann mich vor Aufträgen kaum retten und habe nur zufriedene Kunden.
Aber für mich ist jetzt nun einmal Hochsaison, und das ist anstrengend. Ich bin allerdings nicht gekommen, um über mich zu reden.”
Sie überreichte ihrer Mutter den Blumenstrauß. “Nachträglich herzlichen Glückwunsch zum Hochzeitstag, Mummy.”
“O Darling, wie schön!” Daphne kamen fast die Tränen, als sie auf die herrlichen Orchideen blickte.
“Und dies ist für dich, Daddy.” Damit ihr Vater sich später nicht heimlich in die Küche schleichen musste, stellte Jane eine Flasche Whisky auf den Tisch neben seinem Sessel. Dabei fiel ihr Blick zufällig auf einen üppigen Strauß gelber und weißer Rosen, der auf der Fensterbank im Erker stand. “Wie schön, Daddy!” rief sie bewundernd aus. “Sind das deine?”
Seit er vom Schicksal zum unfreiwilligen Ruhestand gezwungen worden war, hatte David sich ganz seinen Rosen verschrieben und arbeitete mehrere Sunden täglich in seinem geliebten Gewächshaus.
“Leider nicht.” Ihr Vater schüttelte bedauernd den Kopf. “Ich wünschte, sie wären es, denn es sind ausgesprochene Prachtexemplare.”
Da konnte sie ihm nur zustimmen. Aber wenn die Rosen nicht aus dem Gewächshaus ihres Vaters stammten, woher kamen sie dann?
Ihre Eltern hatten nur noch zu wenigen guten alten Freunden Kontakt, und sie konnte sich nicht vorstellen, dass auch nur einer von ihnen solch ausgefallene
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