Verfuehrt zur Liebe
Schreck würde ver-hindern, dass es ihr wieder einfiele, brächte sie dazu abzureisen ... aber das geschah nicht. Dann trafen Sie hier ein, und ich musste vorsichtiger sein. Doch während die Tage vergingen, erkannte ich, dass es so gewesen sein musste, wie ich es zuerst angenommen hatte - niemand anderer hatte den Stoff genommen. Er war noch in Kittys Hand, als Portia sie entdeckte.«
Er hob den Kopf und schaute Portia direkt an. »Erinnern Sie sich jetzt wieder? Sie müssen es doch gesehen haben. Sie hielt ihn fest in ihrer rechten Hand umklammert.«
Portia erwiderte seinen Blick, schüttelte den Kopf. »Es war nicht da, als ich sie fand.«
Ambrose setzte eine gönnerhafte Miene auf. »Es muss so gewesen ...«
»Du Narr!«
Der Aufschrei überraschte alle. Aller Augen richteten sich auf Drusilla, die stocksteif neben ihrer Mutter saß. Ihr Gesicht war kalkweiß, ihre Augen weit aufgerissen, ihr ganzer Körper gespannt - wie im Griff eines machtvollen Gefühls.
Sie blickte ihren Bruder unvermindert an. »Du ... du ... Idiot! Portia hat nichts gesagt - sie hätte es, wenn sie etwas gesehen hätte. Sie war vielleicht geschockt, aber sie hatte nicht den Verstand verloren.«
So verblüfft wie alle anderen starrte Ambrose sie nur an.
Stokes erholte sich als Erster. »Was wissen Sie über den verschwundenen Armelaufschlag, Miss Calvin?«
Drusilla schaute ihn an, wurde noch blasser. »Ich ...« Die Gefühle, die sich in ihren Zügen widerspiegelten, waren für alle sichtbar. Sie hatte eben erst erkannt...
Lady Calvin hob eine Hand an ihre Lippen, als müsse sie einen Aufschrei unterdrücken. Lady Glossup legte den Arm um sie.
Mrs. Buckstead, die neben Drusilla saß, beugte sich vor. »Erzählen Sie uns alles, meine Liebe. Es gibt keine andere Möglichkeit.«
Drusilla schaute sie an, dann holte sie tief Luft und sagte zu Stokes: »Ich ging spazieren an jenem Nachmittag. Mein Weg ins Haus führte mich durch die Terrassentür in die Bibliothek. Ich sah Kitty dort liegen, bemerkte den Stoff in ihrer Hand. Natürlich habe ich ihn sofort erkannt. Ich begriff, dass Ambrose schließlich doch genug hatte und ...« Sie hielt inne, befeuchtete sich die Lippen, dann fuhr sie fort: »Aus welchem Grund auch immer, er hatte sie umgebracht. Wenn er gefasst wurde ... der Skandal, die Schande ... es würde Mama umbringen. Daher habe ich den Stoff aus Kittys Fingern gezogen und mitgenommen. Ich hörte Stimmen in der Eingangshalle - Simon und Portia. Daher bin ich durch die Terrassentür wieder nach draußen geeilt.«
Stokes musterte sie streng. »Selbst als die Anschläge auf Miss Ashford begannen, haben Sie nicht daran gedacht, es jemandem zu sagen?«
Drusilla warf ihm einen entsetzten Blick zu. Sie wankte, ihre Haut wurde grau. »Was für Anschläge?« Ihre Stimme war schwach, zitterte leicht. »Ich wusste nichts von der Schlange.« Sie sah zu Ambrose, dann wieder zu Stokes. »Die Urne ... das war doch ein Unfall, oder?«
Stokes blickte Ambrose an. »Sagen Sie es uns besser gleich.«
Ambrose betrachtete seine Hände. »Ich hatte es mir angewöhnt, auf dem Dach umherzuschlendern - niemand durfte mir anmerken, wie sehr ich in Sorge war. Ich sah Portia unten auf der Terrasse. Es sah so aus, als wäre sie allein - Cynster stand dicht an der Wand, sodass ich ihn nicht bemerken konnte. Ich war da - es war nicht schwer ...« Er holte tief Luft, hob den Kopf, schaute aber niemanden an. »Sie müssen bedenken, dass ich keine andere Wahl hatte - nicht wenn ich den Sitz erhalten und Mitglied des Parlaments werden wollte. Ich hatte mein Herz daran gehängt...«
Er brach ab, senkte den Blick wieder. Verschränkte fest seine Hände. Stokes wandte seine Aufmerksamkeit wieder Drusilla zu.
Sie starrte Ambrose mit aschfahlem Gesicht an.
Als sie Stokes schließlich anschaute, fragte er: »Warum haben Sie Ihrem Bruder nicht gesagt, dass Sie den Stoff hatten?«
Eine Weile sah sie Stokes nur wortlos an; er wollte die Frage gerade wiederholen, als Drusilla zu Ambrose blickte.
Sie holte tief Luft, erklärte: »Ich hasse ihn, wissen Sie. Nein, wie könnten Sie? Aber bei uns zu Hause drehte sich immer alles nur um Ambrose. Er hat alles bekommen, ich dagegen nichts. Einzig Ambrose zählte. Sogar jetzt ist es so. Ich liebe Mama, ich habe mich pflichtbewusst um sie gekümmert, ich bleibe an ihrer Seite - ich habe sogar den Ärmelaufschlag an mich genommen, um sie zu schützen - sie, nicht Ambrose, nie Ambrose.« Ihre Stimme wurde lauter, fester.
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