Verfuehrung
konnte.
»Ich kann nicht schwimmen«, gab sie zu.
»Als Venezianer bin ich zutiefst entsetzt. Entsetzt, sage ich dir! Gleich morgen geht es zum Meer«, stieß er mit einer Miene hervor, die tragisch wirken sollte. Gleichzeitig kitzelte er sie unbändig.
»Wenn du so predigst, ist es kein Wunder, dass du nur zwei Predigten gehalten hast«, gab sie zurück, soweit es das Kichern zuließ, das er ihr entlockte. Schließlich wurde sie wieder ernst.
»Ich schwimme«, sagte sie, »wenn du es tust.«
Einen Moment des Zögerns spürte sie noch bei ihm, denn sie wussten beide, dass sie nicht nur vom Schwimmen im Wasser sprach.
»Dann lass mich dir gleich ein paar Schwimmbewegungen zeigen«, flüsterte er, und ihre Körper wurden erneut eins.
III
La Calori
D er Fluss Misa mündete bei Sinigaglia ins Meer; den Salzgeruch einzuatmen und gleichzeitig über Brücken zu spazieren erinnerte Giacomo an seine Heimatstadt. Er konnte die Augen schließen und sich vorstellen, er spaziere mit Calori durch Venedig, aber dann hätte er darüber das Hier und Jetzt verpasst, und das wäre ein Jammer.
Im Palazzo Malipiero hatte er einmal ein Streitgespräch mit einem selbsternannten Philosophen geführt, der die alte Maxime vertreten hatte, im Leben sei die Summe der Leiden größer als die der Freuden.
»Würden Sie ein Leben haben wollen, in dem es weder das eine noch das andere gäbe?«
»Nun, das gerade nicht, aber …«
»Dann lieben Sie das Leben so, wie es ist. Natürlich gibt es Momente, in denen wir unglücklich sind, aber wir wissen doch, dass es früher oder später besser werden wird, und das hilft uns, Unglück zu ertragen. Ich glaube Horaz, der gesagt hat, er sei immer glücklich, wenn nicht gerade der Katarrh beschwerlich wird. Aber welcher Mensch hat schon beständig den Katarrh?«
»Mein Freund, Sie sind eben noch sehr jung. Sie werden es schon noch lernen.«
Was war das für ein Dummkopf, dachte Giacomo jetzt, erspähte ein Schild, das einen Schneider anzeigte, und drängte Calori in diese Richtung. »Sinigaglia ist ein Zentrum des Seidenhandels, und du wirst mehr als ein Kleid brauchen, wenn du jetzt als Frau auftrittst«, sagte er, und sie lachte. »Erst die Auftritte, dann das Geld, um Seide zu kaufen«, sagte sie.
»Dann sind wir nicht mehr in Sinigaglia. Lass mich dir ein Kleid kaufen. Dazu reicht es bei dem verbliebenen Inhalt meiner Börse noch.«
Er war in der Stimmung, ihr die Welt zu Füßen zu legen, und gerade, weil er wusste, dass er das nicht mehr lange würde tun können, wollte er es jetzt tun. Als er am Vormittag für sie einen abgelegenen Strand gefunden hatte, um sie das Schwimmen zu lehren, war ihm ihre Gänsehaut nicht entgangen. Sie hatte sie bekommen, lange bevor sie in das im März noch recht kühle Meer gelaufen waren, aber darüber hinaus hatte sie durch nichts erkennen lassen, dass sie sich vor dem Neuen fürchtete. Dieses Vertrauen von ihr, die jegliches Misstrauen nur zu gut gelernt hatte, war ihm berauschender als Wein. Anschließend hatten sie wie Kinder im Sand Muscheln gesucht, nur, dass er als Kind dazu nie unbekümmert genug gewesen war, und sie vermutlich auch nicht.
Ganz zufällig hatte er herausgefunden, dass sie in diesen Tagen Geburtstag hatte, und damit war die Angelegenheit mit dem Kleid entschieden. Rote Seide, ein dunkles Rot, das ihre schwarzen Augen wie dunkle Perlen hervorhob, welche an den Säumen des Kleides mit Silber bestickt war. Und weil es noch eine Weile dauern würde, bis ihr lockiges Haar wieder lang genug war, um hochgesteckt zu werden, bestand er darauf, eine Perücke in genau dem gleichen Silberton für sie zu finden. Damit blieb ihm zwar von den siebenhundert Zechinen, die ihm der Kardinal Acquaviva beim Abschied geschenkt hatte, gerade mal genug, um in der nächsten Stadt noch einen Gasthof zu bezahlen, aber es würde sich schon etwas finden. Und wären es wieder nur einige Partien Pharo mit ein paar unachtsamen Spielern.
Er konnte auch ihr Angebot annehmen und sie beim nächsten Mal bezahlen lassen. Er ließ sich gerne einladen, und das nicht nur von männlichen Gönnern, wie Senator Malipiero einer gewesen war, ehe er Giacomo im Bett mit seiner Lieblingstänzerin entdeckte. In Rom hatte er von einer Marchesa mehr als einmal Geld bekommen. Es machte ihn sehr wohl glücklich, dass Calori über das Talent verfügte, sich in die Herzen der Menschen zu singen, und so nie würde hungern müssen. Trotzdem konnte er nicht leugnen, dass er den
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