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Verfuehrung

Verfuehrung

Titel: Verfuehrung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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ihr die Furcht breit, er könnte ganz anders empfinden als sie. Was, wenn ihm die eine Nacht völlig genug war? Was, wenn er nie mehr gewollt hatte, als mit dem Mädchen zu schlafen, das vorgab, ein Kastrat zu sein, und nun die nächste neue Erfahrung suchte? Die meisten Männer begehrten mit großer Leidenschaft Frauen, die sich ihnen entzogen. Doch sobald sie ihren Körper besessen hatten, verloren sie sofort jegliches Interesse an den Geliebten.
    Der Student und sein Gerede über widernatürliche Praktiken fielen ihr ein. Was, wenn sie ihm eine schlechte Geliebte gewesen war?
    Es kümmert mich nicht, versuchte sie sich zu sagen . Es kümmert mich nicht. Dann war auch er nur eine Erfahrung. Mehr habe ich doch auch nicht gewollt. Aber sie hielt das Schweigen nicht länger aus.
    »Giacomo«, platzte sie heraus, »war ich schlecht? Du musst offen sein. Bitte keine schönen Worte.«
    Ihre Wangen brannten, und es war ihr unsäglich peinlich, aber sie hatte ihre Gedanken ehrlich ausgesprochen, und das war ihre Art, auf einem Seil über dem Abgrund zu tanzen.
    Sie hatte ein Lachen befürchtet, denn es entsprach seinem Typ. Aber er schwieg, und ihr Herz fing an zu klopfen. Er legte seinen Kopf auf ihren Bauch, als brauchte er einige Minuten, um die richtigen Worte zu finden, und als wolle er sie nicht dabei ansehen.
    Sie lag unbequem, sein Kopf drückte, aber sie wollte sich auf keinen Fall auch nur einen Zoll bewegen. Anstatt Worte zu hören, spürte sie plötzlich etwas Nasses auf ihrer Haut und dachte zunächst an Schweiß, bis ihr klarwurde, dass es Tränen waren.
    »Meine Seele hat nach dem ersten Mal mit einer Frau nie mehr die Frage gestellt, ›war ich gut? ‹«, sagte er ganz leise. »Genau in dem Moment, als du mich gefragt hast, lag mir jedoch die gleiche Frage auf der Zunge. Du bist mir nur zuvorgekommen. Bis du kamst, konnte ich mir nicht vorstellen, dass ein Mann mit nur einer Frau glücklich sein kann. Wenn ich dich ansehe, finde ich nichts, womit ich dich vergleichen kann. Gott hat ohne Zweifel seinen besten Tag gehabt, als er dich schuf, denn selbst in der Natur, den Wolkenbildern, den Bergen, Tälern, Wäldern und Gewässern, gibt es nichts Schöneres. Seit du mich erhört hast, will ich in deinen Augen nur noch lesen, dass alles, was ich für uns erträume, auch für dich Leben und Erfüllung ist. Ich war durchaus schon in andere Frauen verliebt. Manch eine hat meine Gefühle in ungeahnte Höhen, ja in Ekstase versetzt. Ich habe auch versucht, jede Frau, die ich liebte, glücklich zu machen, weil mir das Freude bereitet, doch bei dir kann ich, kann mein Körper nur in dem Maße glücklich sein, wie du es bist. Du bist und bleibst mir ein Rätsel, selbst wenn ich das Wichtigste gelöst habe. Ich kann reden mit dir, lachen mit dir, weinen mit dir, liebeln mit dir, und jedes Geschenk, das wir uns geben, kommt tausendfach zurück. Du bist und warst für mich ein grausamer Quälgeist, weil du unser Glück so lange hinausgezögert hast, aber für so eine Nacht würde ich gerne noch zehnmal durch das gleiche Inferno gehen«, flüsterte er, und ob es nun an ihrer Nacktheit lag oder seinen zärtlichen Händen auf ihren Hüften, sie glaubte ihm.
    * * *
    Sie schliefen am nächsten Morgen bis weit in den Tag hinein.
    »Wann musst du in Rimini sein?«, fragte er, während sie sich ankleidete.
    »Es hat noch ein paar Tage Zeit. Und wann willst du nach Konstantinopel ziehen?«
    »Das hat noch mehr als ein paar Tage Zeit.« Er zögerte. »Bellino«, sagte er, »was hieltest du davon, mit mir nach Venedig zu kommen, statt nach Rimini zu reisen?«
    Sie würde Venedig liebend gerne besuchen, als Erwachsene und mit ihm an ihrer Seite, aber einer von ihnen beiden wusste, dass man nicht von der Hand in den Mund leben konnte, und er hatte selbst zugegeben, dass dies nicht er war.
    »Ich lebe von Bühnenauftritten und Konzerten, Giacomo. Meine Familie tut das auch, trotz der … der gelegentlichen Nebeneinkünfte. Wenn ich das Engagement in Rimini nicht wahrnehme, dann spricht sich das herum, und bald werde ich nicht mehr engagiert.«
    Er lag noch immer ausgezogen auf dem Bett, während sie bereits an ihren Hosen nestelte, doch sein Blick war hellwach.
    »Es wäre der Kastrat Bellino, der nicht mehr engagiert wird. Du könntest auch in Venedig auftreten«, sagte er langsam, »und nicht als Kastrat. Bei uns gibt es dieses dumme Bühnenverbot für Frauen nicht, das weißt du. Dafür gibt es sechs Opernhäuser, nicht nur eines.

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