Verfuehrung
Zeitpunkt, an dem er von ihr abhängig sein würde, liebend gern hinauszögern wollte. Es war unmöglich, dabei nicht an seinen Vater zu denken, der auf der Bühne nie so gut wie die Mutter gewesen war und zurückstehen musste, während sie im Zentrum der Aufmerksamkeit stand, auf der Bühne und bei den Festen in den Palazzi der Gönner.
Giacomo hatte nie wie sein Vater werden wollen, und das würde er auch nicht.
Aber das waren Gedanken, die die Zukunft betrafen. Im Hier und Jetzt genoss er es, Caloris lange Beine in Männerhosen an seiner Seite zu sehen, und genoss es, sie beim Schneider in ein Kleid schlüpfen zu lassen, das ihren Busen hervorhob, statt ihn zu verbergen. Eine reiche Adlige hätte ein Kleid eigens für ihre Maße schneidern lassen können, doch es gab genügend Schneider, die darauf spezialisiert waren, Kleider, die man ihnen nach dem Karneval oder aus finanziellen Engpässen überlassen hatte, rasch für neue Besitzerinnen abzuändern. Zudem waren sie meist zu sehr auf jede neue Kundschaft bedacht, als dass sie die Nase gerümpft hätten, wenn zwei Männer in ihr Haus hineinspazierten und einer davon in einem Kleid dann zur Frau wurde.
Es gab genügend Menschen, die sich anders verhielten. Calori in einem Kleid war ein Wesen, um das jeder Giacomo beneiden würde, und er musste zugeben, dass es ihm gefiel. Calori in ihren Männerkleidern rief zwar ebenfalls eifersüchtige Blicke hervor, aber auch spöttische, mitleidige oder angewiderte, wenn er sie näher an sich zog oder gar den Arm um ihre Taille legte. Manchmal dachte er, zum Teufel mit ihnen, doch manchmal verletzte diese Haltung seinen Stolz. Er hatte Herablassung und Mitleid nie gut vertragen.
»Sind dir Kleider nicht angenehmer?«, fragte er sie beläufig, als sie im Hinterraum des Schneiders wieder ihre Männerkleidung anzog.
»Als Hosen? Du würdest nicht fragen, wenn du …« Sie stockte. Dann blitzte Schalk in ihren Augen auf. »Weißt du, es gibt eine Möglichkeit für dich, das herauszufinden. Wenn du es wirklich wissen willst und nicht nur gefragt hast, weil du möchtest, dass ich ein Kleid für dich trage.«
Oh, sie war scharfsinnig, seine Prima Donna von den zwei Geschlechtern, und das ließ jedes Gespräch mit ihr fast so befriedigend sein, wie sie in den Armen zu halten. So herausgefordert, musste er natürlich darauf bestehen, dass er es wirklich wissen wollte.
Sie wies auf das Kleid, welches ihr viel zu groß war und immer noch an einem Bügel hing, und schaute ihn von oben bis unten an, ganz so, wie er sie nur allzu gerne musterte.
»Du bist groß genug dafür«, sagte sie. »Und für dieses Kleid auch nicht zu umfangreich.«
»Das kann nicht dein Ernst sein.«
»Bist du nicht neugierig?«
Er war es, Gott helfe ihm. Seit Bettina Gozzi ihm noch vor seinem dreizehnten Geburtstag den Weg in das Himmelreich eines Mannes aufgezeigt hatte, wenn sie ihn badete, sich ihm zeigte, sich schließlich berühren ließ und sein Glied verwöhnte, hatte er das Glück immer wieder in den Händen, Mündern und zwischen den Beinen von Frauen gefunden. Wenn man schlichtweg alles an Frauen faszinierend fand, von der Art, wie sich ihr Geruch veränderte, wenn während der Liebe Schweißperlen an ihnen herabliefen, bis hin zu dem Umstand, dass ihre Essensweise einem vieles darüber verriet, ob sie die Liebe hastig oder langsam genossen, dann war man auch neugierig darauf, was sie wohl empfanden, wenn die Seide eines Kleides auf ihrer Haut knisterte. Ob es das Kleid war, das dem Gang einer Frau jenes bezaubernde Schwingen verlieh, oder ihre so anders gebauten Hüften, dies galt es auch dabei herauszufinden. Ob eine Frau das Gleiche wie ein Mann bei der Liebe empfand oder ob sie anders fühlte, da sie doch nicht das Problem hatte, ein Glied zu besitzen, das sich erschöpfte und ausruhen musste, hätte er ebenfalls allzu gerne gewusst. Aber das würde ihm leider keine Kostümierung verraten.
So betrachtet, war es nur zu verständlich, dass Calori manchmal durchaus ein Mann hatte sein wollen, geplagt von der gleichen Neugier.
»Wirst du mir helfen?«, fragte er.
»Du hast mir geholfen«, antwortete sie, und er dachte wieder, was für ein Glück es gewesen war, in jenem Gasthof in Ancona abgestiegen und die schlechte Laune eines langweiligen Reisetages an dem armen Wirt ausgelassen zu haben. Wenn ihn Don Sancho nicht gescholten und danach zu einem musikalischen Vortrag geholt hätte, wäre er am nächsten Morgen weitergereist und wäre ihr
Weitere Kostenlose Bücher