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Verfuehrung

Verfuehrung

Titel: Verfuehrung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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nie begegnet, diesem erstaunlichen Wesen, das ihm wie die erotischen lateinischen Gedichte vorkam. Oder wie die Sonette von Pietro Aretino, bei denen er als Junge schon gelernt hatte, dass jedes Wort mindestens drei Bedeutungen hatte und Sprache so sinnlich wie Frauenkörper sein konnte, jene Gedichte, die sich, wie die Liebe zu einer Frau, immer neu und anders lasen.
    Er hatte für Frauen manches Törichte getan, wie sie für ihn, aber bis jetzt hätte er es keiner Frau gestattet, ihn anders denn als männlichen Verführer zu sehen. Es war eine neue Art, nackt zu sein, und doch voll bekleidet. Ihre Finger zitterten ein wenig, als sie das Korsett hinter seinem Rücken band. Dass auch sie bei diesem Spiel unsicher war, machte ihn sicherer und ließ ihn zu seiner alten Waffe greifen, mit der er das Leben in fast jeder Situation anging: über sich selbst zu lachen.
    »Der erstaunliche Casanova«, sagte er, »die neue Stimme, die alle Opernbesucher schwachmacht … Weil sie so falsch singt. Lass mich nun den Kastraten spielen, und ich schwöre dir, dass unser Einkommen gesichert ist. Die Komponisten der ganzen Welt werden zu mir eilen, um mich dafür zu bezahlen, nicht mehr zu singen, nachdem sie einmal gehört haben, wie ich ihre Werke massakriere.«
    Er hörte und spürte sie lachen, während sie von hinten den Arm um ihn legte, ihm dabei half, sich den Rock des Kleides überzuziehen.
    »Du wärst unwiderstehlich.«
    Seide auf der Haut, schmeichelnd und in Bewegung zwischen seinen Beinen, und oh, das Gewicht war größer, als er geglaubt hatte, gut, das zu wissen. Er drehte sich zu ihr herum.
    »Primo Uomo?«, fragte er mit hochgezogener Augenbraue.
    »Prima Donna«, sagte sie mit leicht belegter Stimme, und wenn er sich nicht täuschte, dann atmete sie ein wenig schneller, veränderte sich ihr Duft unmerklich, wie es bei Frauen geschah, wenn sie in Hitze gerieten. Also fand sie ihn auch in Frauenkleidung aufregend. Ihn oder jeden Mann? War es, weil ihre erste Liebe ein Kastrat gewesen war, den sie ebenfalls in Frauenkleidung erlebt haben musste, oder war sie vielleicht auch für Frauen empfänglich? Es war ihm gleich. Er liebte sie in Männerkleidung so sehr wie als Frau, und wie es aussah, war sie bereit, ihn herausfinden zu lassen, wie sich eine Frau fühlte, wenn sie von einem Mann geliebt wurde.
    Er knickste, was in einem Kleid erheblich mehr Balance verlangte als ein Kratzfuß in Hosen; kein Wunder, dass Frauen anders gingen als Männer.
    »Mein Herr«, sagte er, »haben Sie böse Absichten?«
    »Meine Absichten sind ganz natürlicher Art«, sagte sie in seinem Tonfall mit einem passablen venezianischen Akzent, und er erinnerte sich dunkel, so etwas in der Art zu ihr oder ihrer Mutter gesagt zu haben, in Ancona. Sie nahm seine Hand und küsste sie, und er weitete seine Augen, wie er es bei ihr beobachtet hatte, wenn sie glaubte, er bemerke es nicht; das kleine, kaum hörbare Einsaugen von Atem, das leichte Straffen des Rückens, wie um der Welt zu beweisen, dass sie kein Strandgut war, sondern selbst ein Pirat. Als sie ein Bein zwischen die seinen stellte, und oh, Röcke waren entschieden hilfreich dabei, so etwas zu verbergen, war er bereits hart, während sie sich auf ein kleines Fußbänkchen stellte, damit sie ihn weit genug überragte, um ihn leicht nach hinten beugen zu können, als sie ihn küsste. Seine Finger kletterten an ihrem Wams entlang, strichen über ihren Hals und verdeckten ihr die Augen, wie sie es einmal bei ihm getan hatte.
    »Mann«, sagte er und küsste sie, »oder Frau?«
    »Beides«, raunte sie, ohne zu fragen, ob er sie meinte oder sich selbst. »Beides.«

    Die Postkutsche wäre beinahe ohne sie losgefahren, weil die Zeit bei dem Schneider wie im Fluge vergangen war, aber es gelang ihnen, den Kutscher zu überreden, so lange zu warten, bis sie ihre Sachen packen konnten und er ihr, die nun wieder in dem roten Kleid steckte, den Arm bot, während sie in die Postkutsche einstieg. Es war keine lange Fahrt bis Pesaro, wo sie nur eine Mahlzeit einnehmen wollten, ehe sie weiterreisten, doch die Gegenwart eines älteren Kaufmanns und seiner Frau, die erst beschwichtigt werden mussten, weil sie hatten warten müssen, machte ihnen ein verbales Liebeln unmöglich. Nachdem ein belangloses Gespräch in Gang gekommen war, überraschte die Kaufmannsgattin sie.
    »Sind Sie Jungvermählte? Verzeihen Sie mir, aber mir kommt es so vor, und wenn, dann möchte ich Ihnen gratulieren. Ihre Gemahlin ist

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