Verfuehrung
brauchen, der auf Angiola Calori lautete, überlegte sie. Dazu musste sie entweder Bologna besuchen und ihre Identität von ihrer Mutter beeiden lassen, oder darauf hoffen, dass Don Sancho, wenn er nach Ostern hierher nach Pesaro kam, bereit war, ihr durch seine Beziehungen auszuhelfen. Oder darauf setzen, dass Giacomo in Venedig Leute kannte, die einflussreich genug waren, um für sie einen neuen Pass ausstellen zu lassen, dachte Calori und war noch damit beschäftigt, sich auszumalen, was ihre Mutter wohl sagen würde und wie es ihrer Mutter seit ihrer Trennung ergangen war, als sie Giacomo neben sich sagen hörte: »Es tut mir leid, ich finde meinen Pass nicht.«
»Vielleicht hast du ihn in deiner Reisetruhe«, sagte Calori, obwohl sie ihm beim Packen geholfen hatte und sich nicht erinnern konnte, ein solches Dokument gesehen zu haben. Das Kleiderspiel beim Schneider in Sinigaglia schoss ihr durch den Kopf, und sie errötete. Am Ende war der Pass bei all der Kleiderwechselei und unter den Umständen, unter denen diese Verwandlungen stattgefunden hatten, zu Boden gefallen und von ihnen nicht mehr bemerkt worden, als sie das Zimmer verließen. Sie hatten, weiß Gott, andere Dinge im Kopf gehabt.
Der Kaufmann und seine Gattin wiesen ihre Papiere vor, während Giacomo sich vom Kutscher die Truhe herunterholen ließ und sie öffnete.
»Scheint in Ordnung zu sein«, meinte der Unteroffizier und flüsterte dem Kaufmann etwas ins Ohr, während er einen bedeutungsvollen Blick auf Calori warf. »Wirklich?«, entfuhr es dem Kaufmann. »Aber …« Seine Miene veränderte sich, er schaute betreten, dann voller Abscheu. »Lass uns gehen«, sagte er zu seiner Gattin.
»Aber sollten wir nicht warten, bis der nette junge Herr …«
»Nein«, erklärte der Kaufmann energisch und zog sie fort, einem Knecht zuwinkend, damit er ihnen mit ihrem Gepäck folgte.
Auch ein gemeinsames Durchwühlen der Truhe und von Caloris Reiseweidenkorb beförderte Giacomos Pass nicht zutage.
»Dann muss ich meinem Vorgesetzten Meldung machen«, verkündete der Unteroffizier und befahl seinen Füsilieren, mit Giacomo und Calori im nächsten Gasthaus zu warten.
»Ich fürchte, der Pass ist in Sinigaglia geblieben«, murmelte Calori, und der Schatten eines Grinsens zog über Giacomos Gesicht. Sie schnitt ihm eine leichte Grimasse.
»Das ist nicht komisch. Was, wenn dich schon wieder jemand für einen Spitzel hält?«
»Die Spitzel unserer Staatsinquisition erhalten wenigstens eine ordentliche Bezahlung«, seufzte Giacomo. »Aber ganz im Ernst, sie werden entscheiden, dass ich harmlos bin, und uns weiterreisen lassen. Sehe ich nicht wie die Harmlosigkeit in Person aus?«, fragte er einen der Füsiliere, halb im Ernst, halb im Spaß. Der Mann grunzte nur und murmelte etwas davon, dass man Sodomiten alle einsperren sollte.
Calori wurde es kalt. Daran hatte sie überhaupt nicht gedacht. Missbilligende Blicke und Beleidigungen waren eine Sache, aber die Vorstellung, sie könne Giacomo dadurch in Gefahr bringen, versetzte ihr einen heftigen Stich. Hoffentlich behielt er recht, und die Angelegenheit klärte sich bald. Noch einmal durchsuchte sie ihren Weidenkorb und seine Reisetruhe. Die einzigen Dokumente, die sie in seinem Gepäck fand, waren ein paar Sonette. Sie konnte nicht anders, als sie durchzulesen, samt der Widmung.
»Wer ist denn die Marchesa G.?«, fragte sie unwillkürlich.
»Die Mätresse des Kardinals Colonna.«
»Und du schreibst ihr Gedichte über …« Sie runzelte die Stirn, eher belustigt als eifersüchtig, »… die Eroberung von Schlesien durch den König von Preußen?«
Giacomo zuckte die Achseln.
»Sie hat den ersten Salon von Rom, und sie schrieb ein Loblied über die Eroberung Schlesiens durch Friedrich II. Ich wollte ihre Aufmerksamkeit erringen, also schrieb ich ein Antwortsonett, in dem sich das Land Schlesien beschwert, wobei das Land natürlich weiblich ist, von einem Liebhaber von Männern erobert worden zu sein, der gar nichts mit ihr anfangen kann.«
Unter anderen Umständen hätte sie das zum Lachen gebracht. Selbst die Unverständnis ausdrückenden Blicke der Füsiliere konnten nicht verhindern, dass ihr die Mundwinkel zuckten.
»Und hat das die Marchesa beeindruckt?«
»Bin ich noch in Rom? Sie hat bedauerlicherweise keinen Sinn für Humor, obwohl sie den im Zusammenleben mit ihrem Kardinal dringend gebrauchen könnte.«
Der Wirt brachte ihnen etwas Käse und Brot, ließ sich jedoch sofort bezahlen, was
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