Verfuehrung
ich bin Venezianer.«
»Kommen Sie mir nicht wieder mit dummen Sprüchen, Signore Abbate«, knurrte der Soldat. »Ob Sie ein Falschspieler sind, wollte ich wissen.«
»Ganz gewiss nicht«, versicherte Giacomo, der den Ausdruck bisher noch nicht gekannt hatte und stolz darauf war, auch ohne zu betrügen vom Kartenspiel leben zu können, wenn es denn sein musste.
Der einzige andere Zeitvertreib unter Männern, der ein ähnlich allgemein wohliges Gefühl von Gleichheit, meist sogar von Überlegenheit, bei jedem Einzelnen den anderen gegenüber hervorrief, waren Geschichten über Erlebnisse mit Frauen, deren Formen man so trefflich mit den Händen beschreiben konnte. Wie sich herausstellte, hatte er mit den Karten und der Vermutung über Frauengeschichten den richtigen Weg eingeschlagen. Die nächsten Tage bestimmten diese beiden Dinge den Tagesablauf. Während Karten verteilt wurden, drangen sie in Giacomo, doch mehr von der Contessa zu erzählen, welche ihn mit den köstlichen Speisen versorgen ließ.
»Kameraden, das wäre grober Undank und würde außerdem bedeuten, dass ich bald kein Essen mehr bekomme.«
Einige nickten nachdenklich und verständnisvoll, andere blickten enttäuscht drein.
»Also, mein Vetter hat gesagt, er kennt einen Mann, der mal jemandem begegnet ist, der mit Donna Giulia … na, ihr wisst schon.«
Das klingt ja sehr vertrauenswürdig, dachte Giacomo und passte im Gegensatz zu den Mitspielern sehr genauf auf, welche Karten gefallen waren.
»Und der Kerl, also nicht mein Vetter, sondern der andere, der hatte einen Buckel. Die Buckligen sollen ja besonders lange Schwänze haben. Jedenfalls hat er gemeint, Donna Giulia, die macht es nicht mit jedem. Man muss schon etwas Besonderes an sich haben, irgendetwas, das einen zu etwas anderem macht als andere Männer. Wenigstens könntest du uns verraten, was an dir so besonders ist, Venezianer!«
»Wenn ich das täte, dann wäre an mir leider nichts Besonderes mehr«, entgegnete Giacomo mit ausdrucksloser Miene. »Ein geteiltes Geheimnis ist kein Geheimnis mehr, das ist nun einmal so.«
Allmählich kam ihm ein Verdacht, auf was seine guten Mahlzeiten zurückzuführen waren, oder besser gesagt, auf wen. Ein Kastrat war nicht bucklig, aber auf jeden Fall etwas Besonderes, und am Ende hatte Calori weder gelogen noch geprahlt, als sie behauptet hatte, eine Frau in Ekstase versetzt zu haben.
»Wie wäre es mit noch etwas Wein? Meine Kehle erscheint mir trocken.«
Und das war sie in der Tat gerade geworden. Um sich abzulenken und ihr Wohlwollen für sich noch zu verstärken, erzählte er ihnen wieder Geschichten aus Venedig, die er nur vorgab, erlebt zu haben. Von seinen wirklichen Liebschaften zu erzählen kam nicht in Frage. Das wäre Verrat gewesen an Frauen, die ihm immer noch viel bedeuteten. Am liebsten waren den Soldaten ohnehin seine Geschichten von den berühmten Kurtisanen Venedigs, deren Ruf ganz Europa durcheilte, die aber häufig jung starben, an den übermäßigen Anstrengungen ihres Gewerbes, das sie, bei Gott, als einen Adelsbrief betrachteten. Sie konnten nicht genug hören von Spina und Ancilla, den bekanntesten, die angeblich ein so gutes Herz hatten, dass sie sich niemandem versagen konnten. »Niemandem, der zahlen kann«, dachte Giacomo, sprach es jedoch nicht laut aus. Was Soldaten hören wollten, war nicht, dass es sich bei den meist hochgebildeten Kurtisanen in erster Linie um Geschäftsfrauen handelte, die so wenig dazu neigten, ihre Waren umsonst zu verteilen, wie nur irgend ein Geschäftsmann, und das aus dem gleichen Grund: Kein Kunde war geneigt, Unsummen für etwas zu zahlen, was andere umsonst erhielten. Nein, die Soldaten hingen an ihrer Vorstellung von Huren mit goldenen Herzen, und Giacomo bestärkte sie darin.
Aber auch von den Streichen, die man sich in der Lagunenstadt so spielte, wenn man Gondeln losband, Hebammen in Häuser schickte, wo überhaupt kein Kind erwartet wurde, oder Pfarrer zur Letzten Ölung, wo niemand gestorben war, berichtete er. Als Höhepunkt musste er dann immer erzählen, wie die Gattin eines ehemaligen Dogen – welches Dogen, das weigerte er sich zu verraten, weil er nicht lebensmüde war und nach Venedig zurückkehren wollte – eine Wette mit der berühmtesten Kurtisane Venedigs abgeschlossen hatte, in der es darum ging, wer in einer Nacht mehr Männer zufriedenstellen konnte. Zum Glück war keiner der Soldaten gebildet genug, um Juvenal gelesen zu haben. Die einfachen Soldaten
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