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Verfuehrung

Verfuehrung

Titel: Verfuehrung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Denn das hatte er beim Abendessen mit den Geschwistern begriffen: Einzigartig mussten sie sein. Bettina fand alle langweilig, die sie schon kannte und anderweitig gehört hatte, und erachtete den aus ihrer Sicht einfallslosen Verehrer allein deswegen als nicht weniger langweilig.
    »Eine schöne Frau braucht keine Komplimente, wenn sie Komplimente braucht, ist sie keine schöne Frau«, belehrte Gozzi seine Schwester gelegentlich.
    Bettina ließ das nicht gelten. »Komplimente kann eine Frau nie genug hören, vor allem, wenn ein neues dabei ist, merk dir das.«
    Wer die Ohren spitzte, war jedoch nicht ihr Bruder, sondern Giacomo, dem kein Wort entging. »Carlo hat gesagt, mein Gang, mein Haar, mein Gesicht sei einzigartig auf der Welt und mit dem keiner anderen Frau zu vergleichen«, berichtete sie einmal voll Vergnügen.
    Giacomo fand das keineswegs einzigartig, weil es in dieser Form doch jedem Mädchen gesagt werden konnte. Er nahm sich vor, in seinem Leben auf die kleine Besonderheit zu achten, die jedes Mädchen hatte und von der es auch wusste. Diese kleine Einzigartigkeit würde er zum Gegenstand seiner Bewunderung und Komplimente machen. Schließlich war Beredsamkeit das einzige Gebiet, in dem er, dessen war er sich sicher, den Jurastudenten Carlo übertreffen konnte. Carlo Calucci, der mit seinen sechzehn Jahren fast schon ein Mann von Welt war und Bettina bestimmt mehr mit seiner bereits männlich tiefen Stimme, seinen strammen Schenkeln und seinem muskulösen Oberkörper als mit seinem Vokabular beeindruckte.
    Und sich mit Carlo auf einen Streit einzulassen würde höchstens damit enden, dass ihn der ältere Junge grün und blau schlug. Nein, wenn Giacomo Bettina beweisen wollte, dass er größerer Aufmerksamkeit wert war als sämtliche älteren, größeren und stärkeren Studenten zusammen, dann musste er dafür seinen Verstand und seine Phantasie benutzen. Das übliche Süßholz über Bettinas Gang und Haar zu raspeln kam also nicht in Frage. Er zerbrach sich den Kopf bei der Suche nach einem Kompliment, das sie noch nicht erwähnt hatte und das dennoch auf sie zutraf. Die Erleuchtung kam ihm mitten in einer langweiligen Auslegung der noch langweiligeren Gesetze des Justinian. Er feilte noch ein wenig am Wortlaut und brachte es dann an, als er ihr später allein auf der Treppe begegnete: »Warum lächelst du heute so bezaubernd? Willst du mir deine schönen Zähne zeigen? Ich muss gestehen, ich habe bis heute keine schöneren gesehen.«
    Zu seiner Befriedigung lösten diese Sätze wahrlich großes Staunen bei Bettina aus, die in ihm immer noch einen unschuldigen Jungen sah.
    Wenige Tage später, an einem Abend, auf dem Weg zum Abendessen, als sich ihre Schultern leicht berührt hatten, wurde er deutlicher und unterstrich seine Worte mit Blicken, die feurig sein sollten, so wie er es auf den Theaterbühnen in Venedig beobachtet hatte.
    »Du fühlst dich an, als wäre für dich die Liebe geboren worden oder als hättest du sie erfunden!«
    Damit hatte er sie endgültig neugierig gemacht. Sie schaute ihn viel aufmerksamer an, als sie es sonst tat, und nahm offensichtlich zur Kenntnis, dass er dabei war, dem Kindsein zu entfliehen.
    Als sie an diesem Abend beide auf ihr Zimmer gingen, wo er schnell seine Kerze auslöschte, um so besser in das Zimmer von Bettina blicken zu können, hatte sie vergessen, den Vorhang zu schließen, durch dessen Spalt er bisher immer nur sehr wenig von ihrem Anblick hatte erhaschen können. Zudem stand nun ihre Lampe auf einem Tisch in der Mitte des Zimmers und nicht, wie sonst, auf der Kommode an der Wand. Nach einer Weile begann sie sich zu entkleiden und rollte, langsam, sehr langsam, ihre Strümpfe hinunter. Was sie Schritt für Schritt enthüllte, war jung und fest, ja drall, und so anders, als er es bei kurzen Blicken in Theaterlogen oder zu Hause bei seiner Mutter gesehen hatte. Er hätte Stein und Bein geschworen, dass die Halbkugeln ihrer Brüste die Form der schönsten Glocken von San Marco hatten, wenn auch sicher deutlich kleiner, aber wie diese wippten sie bei jeder Bewegung auf und ab. Für einen Moment war sie völlig nackt, bis sie sich ein kurzes Unterhemd überzog. Giacomo geriet jedoch völlig außer sich, als sie sich plötzlich aus für ihn unerfindlichen Gründen bückte, vermutlich um etwas am Boden zu suchen. Dabei rutschte das Unterhemd weit über ihren Hintern hinauf, und zugleich fingen die gerade bewunderten Glocken das Läuten an, wobei sie

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