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Verfuehrung

Verfuehrung

Titel: Verfuehrung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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den Ballsälen von Paris tanzen.
    Nun ja, wenigstens die Gasthöfe und einige bedeutende Theater Europas würde er kennenlernen.
    Er achtete darauf, sich vollständig anzukleiden, ehe er mit Dottore Gozzi dem Ruf seiner Mutter Folge leistete. Nicht nur eine Weste, auch einen Überrock und die Seidenstrümpfe unter den Pluderhosen, nicht die aus Wolle, obwohl er nur zwei Paar aus Seide besaß. Dazu eine Perücke, damit sie sah, dass er nun wirklich erwachsen und ein Mann von Welt geworden war. Er wünschte sich nur, sie wäre eine Stunde später gekommen; dann hätte er ihr auch mit dem Bewusstsein entgegentreten können, von Bettina alles über die Liebe gelernt zu haben. Später, sagte er sich, und bald: Bettina würde gewiss seinen Abschied versüßen wollen. Der Gedanke war Freude und Verlust zugleich.
    Er konnte das Parfüm seiner Mutter schon auf dem Gang des Gasthauses riechen; unter Hunderten würde er es wiedererkennen. Dottore Gozzi räusperte sich und klopfte. Wer öffnete, war einer von Giacomos Brüdern, Giovanni. Die Mutter kam also aus Venedig und hatte Giovanni zuvor bei der Großmutter abgeholt. Warum aber nur Giovanni, und nicht auch Francesco, Faustina, Maria-Maddalena und das unerträgliche kleine Balg Gaetano, das nach dem Tod des Vaters geboren war und immer noch ständig greinte?
    »Giacomo«, rief seine Mutter, und ihre Stimme klang noch genauso, wie er sie in Erinnerung hatte. Sie saß auf einem Schemel und puderte sich die Wangen. Nur Komödiantinnen und Huren trugen tagsüber Rot, das wusste er inzwischen, aber er fand, dass es eine dumme Regelung war. Schließlich sollte man sich als Mann zu allen Tages- und Nachtzeiten die Haare pudern, und auch das Gesicht. Seine Mutter allerdings wechselte auch ihre Haarfarbe stetig und unbekümmert; doch was sie auch immer wählte, es stand ihr. Heute trug sie eine schwarze Perücke und ein silberfarbenes Kleid, und ein alberner kleiner Teil von ihm, der sich weigerte, erwachsen zu werden, fand, dass sie wie eine Märchenprinzessin aussah.
    Er war inzwischen deutlich größer als sie, hatte einen Scherz als Gruß vorbereitet, um seine Weltläufigkeit zu beweisen, aber er kam nicht dazu, ihn auszusprechen. Sie erhob sich, fasste ihn an den Schultern, zog ihn kurz an sich und hielt ihn dann auf Abstand, um ihn zu betrachten. Missbilligend schnalzte sie mit der Zunge.
    »Mein Schatz, du kannst keine blonde Perücke tragen bei deiner braunen Haut. Das sieht ja grässlich aus. Dottore, Sie werden umgehend einen Perückenmacher kommen lassen, damit wir das ändern. Machen Sie sich keine Sorgen wegen der Kosten, das wird mein Abschiedsgeschenk.«
    »Abschieds…«, wiederholte Giacomo betäubt und konnte das Wort nicht beenden. »Abschieds…« Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen.
    »Ich will doch nicht hoffen, dass mein kleiner Dummkopf einen Rückfall erlitten hat«, sagte sie, noch immer an Dottore Gozzi gewandt, »und all die Briefe über seine Fortschritte bloße Schwindelei waren. Dafür, dass er herumstottert, bezahle ich Sie nicht, mein Guter.«
    Gozzi versicherte feurig, dass Giacomo zu den besten Schülern gehörte, die er je unterrichtet habe, und jetzt schon über die justinianische Gesetzgebung debattieren könne, wozu andere erst mit achtzehn Jahren in der Lage seien.
    »Sie brauchen nicht zu übertreiben, Dottore. Machen Sie aus ihm einen Mann, der sich allein durchs Leben schlagen kann, mehr erwarte ich nicht. Sein Vater, Gott hab ihn selig, hat auf der Bühne sein Bestes gegeben, aber es war bei allem guten Willen eben nicht sehr viel, und Giacomo gerät nach ihm, deswegen kann ich dem Impressario auch nicht zumuten, ihn in der Truppe zu beschäftigen.«
    »Ich will auch kein Schauspieler werden!«, sagte Giacomo und entdeckte, dass ihm der Zorn seine Redekraft zurückgab. »Komödianten sind nicht besser als Gesindel.«
    In dem plötzlichen Schweigen, das eintrat, hörte man den kleinen Giovanni schniefen. »Mama will mich nach Dresden mitnehmen!«, stieß er hervor und brach in Tränen aus. »Ich will aber bei der Großmutter bleiben!«
    Giacomo wusste nicht, wen er in diesem Moment mehr hasste, seine Mutter oder seinen kleinen Bruder.
    »Signora …«, begann Dottore Gozzi verlegen. Sie winkte ab.
    »Mutter zu sein«, sagte sie unumwunden, »war nie meine Lieblingsrolle. Aber die Natur hat es nun einmal so eingerichtet und mir fünf Kinder gegeben.« Sie sah Giacomo an. »Hör mir zu, mein Sohn. Du wirst nie ein Mann von Stand sein, aber

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