Verfuehrung
sagte er, »in Ihrem Hauptquartier – in Rimini.«
Mama Lanti kam sehr schnell wieder aus Pesaro zurück, und nicht alleine, doch es war nicht Giacomo, der sie begleitete. Bei ihr war ein Mädchen, das mit seinen aufgesprungenen Lippen und braunroten Flecken im Gesicht sowie Striemen auf den Armen in jüngster Zeit grün und blau geschlagen worden war, so sehr, dass Calori erst auf den zweiten Blick die Zofe Maria erkannte.
»Sie hat es herausgefunden«, flüsterte Maria, die wegen der blauen Würgemale an ihrem Hals kaum sprechen konnte. Es war nicht nötig, zu fragen, wer mit »sie« gemeint war.
»Kindchen«, fügte Mama Lanti hinzu, »kein Mann ist das wert. Von reichen Adligen nimmt man Geld, aber man kommt ihnen nicht in die Quere, und wenn man sie trotzdem verärgert hat, dann bleibt man weit, weit weg von ihnen. Ich habe dir die Kleine hier mitgebracht, damit du verstehst, warum ich schleunigst kehrtgemacht habe. Man hat sie wie ein Bündel dreckiger Wäsche aus einer Kutsche auf die Straße vor der Garnison geworfen, als ich dort angekommen bin. Mit welchem Hintergedanken, dazu bedarf es bei so viel eingesperrten Männern wahrlich keiner großen Phantasie.«
Es hatte in Caloris Leben noch keinen Moment gegeben, in dem sie einen anderen Menschen wirklich aus tiefster Seele gehasst hatte. Falier war ihr zuwider gewesen, und sie hatte sich von ihrer Mutter verraten gefühlt, doch das Gefühl unterschied sich gründlich von dem, das sie empfand, als sie Marias malträtierte Gestalt anstarrte. Sie hasste die Contessa wegen Maria, die das Pech gehabt hatte, in der Nähe ihrer Herrin zu sein, als diese bestimmt keine Zuhörer wollte, und die später nichts anderes getan hatte, als ein paar Mahlzeiten zu entwenden, die sonst in der Überfülle des Reichtums weggeschüttet worden wären. Sie hasste die Contessa wegen Giacomo, denn nun wuchs ihre Sorge ins Unendliche, und ihr schlug das Herz bis zur Kehle. Der Gedanke, dass sie dieser Frau gestattet hatte, sie zu benutzen, verursachte in ihr eine nie gekannte Übelkeit.
»Jetzt schimpfe nicht«, sagte Mama Lanti beunruhigt, und Calori begriff, dass ihre Miene all ihre Gefühle ausdrückte, auch wenn Mama Lanti diese völlig falsch deutete. »Ich wollte tun, was du gesagt hast, meine Kleine, ich habe es wirklich versucht. Aber wenn man so ein Elend sieht – nun, du kannst doch nicht wollen, dass ich wegsehe, um dann für den Abbate den Kopf hinzuhalten, nicht wahr?«
»Nein«, entgegnete Calori tonlos. »Nein, das kann ich nicht.«
Sie berührte sachte, sehr vorsichtig Marias Arm, die trotzdem zusammenzuckte. »Es tut mir leid«, sagte Calori hilflos.
»Was soll jetzt aus mir werden?«, stieß das Mädchen hervor. »So, wie ich aussehe, finde ich keine Stelle, und ich habe kein Geld, um mich zu ernähren, bis alles verheilt ist.«
Das ist meine Schuld, dachte Calori. Meine Schuld. Wenn ich nicht zu der Contessa gegangen wäre, dann hätte Giacomo jetzt nichts Ärgeres als Langeweile in Pesaro zu befürchten. Wenn ich meinen Stolz bei der Contessa hinuntergeschluckt hätte, dann wäre Maria jetzt gesund und munter.
»Du könntest zu den Nonnen gehen und um Armenspeisung bitten«, sagte Mama Lanti zweifelnd, »das tun viele …«
»Du kannst für mich arbeiten«, sagte Calori abrupt. Mama Lanti verschluckte sich beinahe.
»Aber … aber … wer soll das bezahlen?«
»Ich bezahle es. Eine Prima Donna braucht eine Zofe, und Cecilia soll Musikerin werden, nicht Zeit damit verschwenden, mir die Haare hochzudrehen.«
»Mein Täubchen«, sagte Mama Lanti vorsichtig, »meinst du denn, dass deine Gage dafür reicht? Wo du jetzt kein Engagement mehr in Pesaro haben wirst?«
»Ich werde eines in Venedig oder Neapel bekommen«, gab Calori zurück, obwohl sie wusste, dass dies alles andere als sicher war. Melani hatte, mit dem Fünf-Jahres-Vertragsangebot des hiesigen Direktors als Verhandlungsbasis bewaffnet, nach Neapel an seine alten Bekannten geschrieben, doch wenn bereits eine Antwort gekommen war, dann hatte sie noch nichts davon erfahren. Petronio musste bald aus Ancona zurück sein, aber ob er dort erfahren hatte, wo Don Sancho zu erreichen war, und ob dieser ihren Brief bekommen hatte, das wusste der Himmel. Ihre Stimme klang in ihren eigenen Ohren falsch und dünn statt selbstbewusst und siegessicher. Am liebsten wäre sie in Tränen ausgebrochen. Sie stellte sich Giacomo genau in diesem Augenblick vor, wie er von Soldaten oder Knechten der Contessa
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