Verfuehrung
ihm das Lager seiner Gegner und deren Führer näher vorzustellen.
»Ich müsste Sie eigentlich unter Arrest lassen«, sagte er zu Giacomo, der sich schon wieder in einer mehr als misslichen Lage sah, »aber sei’s drum. Vielleicht sind Ihre Erfahrungen ja doch noch von Nutzen. Einer meiner Offiziere wird Sie bis vor das Cesenische Tor begleiten. Von dort aus können Sie gehen, wohin Sie wollen. Aber nehmen Sie sich in Acht, dass Sie nicht ohne Pass in unser Gebiet zurückkehren, sonst könnte es Ihnen übel ergehen.«
Wie Giacomo ohne Gepäck und Geld an einen Pass kommen sollte, wusste der Österreicher allerdings auch nicht zu sagen. Der Offizier, der ihn begleitete, ein gewisser Baron Vais, war immerhin so freundlich, auf dem Weg zum Stadttor in einem Kaffeehaus haltzumachen und Giacomo eine Tasse Schokolade zu spendieren, doch bald stellte sich heraus, dass dies nicht ohne Hintergedanken geschehen war.
»In Bologna«, sagte Baron Vais, »dürfte es Ihnen ohne größere Schwierigkeiten gelingen, einen neuen Pass zu bekommen. Danach können Sie hierher zurückkehren oder nach Pesaro gehen und Ihr Gepäck holen – wenn Sie wollen, obwohl Sie nicht vergessen sollten, dass Sie der spanischen Armee nunmehr ein Pferd schulden.«
Giacomo bedankte sich für den nützlichen Hinweis und wartete darauf, dass sich der Pferdefuß zeigte.
»Natürlich«, fuhr Vais fort, »müssen Sie von irgendetwas in Bologna leben, und die Behörden arbeiten auch schneller, wenn man sie finanziell ein wenig unterstützt.«
»Das ist leider überall auf der Welt so«, sagte Giacomo neutral.
»Wie wahr. Deswegen ist der glücklich, der die Gunst der Stunde nutzen und Freunde gewinnen kann.«
Giacomo hatte einen langen Tag hinter sich und war zu eleganten Wortgefechten weniger bereit, als er das unter anderen Umständen gewesen wäre.
»Mein Freund«, fragte er direkt, »was kann ich für Sie tun?«
Baron Vais hüstelte. »Nun ja«, sagte er, »wir leben in unruhigen Zeiten und können leider nicht an zwei Orten zugleich sein. Ich zum Beispiel wäre liebend gerne gerade jetzt in Wien oder in der Armee in Schlesien, aber das geht nicht. Ein anderer Ort, an dem ich gerne wäre, ist Neapel. Das schöne Neapel, das uns so grausam verlorengegangen ist, das nun von sich behauptet, unabhängig zu sein, obwohl es von einem spanischen Fürsten regiert wird. Ein Mann, der gerade bewiesen hat, dass er ohne weiteres der spanischen Armee entkommen kann, der könnte gewiss auch ohne weiteres Neapel besuchen und sich dort ein wenig umsehen. Mit seinem schönen neuen Pass und etwas finanzieller Unterstützung der Armee Ihrer Majestät, der österreichischen Kaiserin Maria Theresia.«
»Lang lebe Österreich«, sagte Casanova auf Deutsch, was zu den ganz wenigen deutschen Worten gehörte, die ihm überhaupt bekannt waren. Solange sie Venedig in Ruhe ließen, hatte er weder Sympathien noch Hassgefühle für oder gegen Spanier oder Österreicher. Allerdings war seine Lust, nach seinen Tagen in der Haft bald wieder auch nur in die Nähe von spanischen Soldaten zu kommen, mehr als gering. Doch um seine Gefühle ging es hier nicht, sondern darum, endlich wieder wie ein Herr statt wie ein rechtloser Bettler durch die Gegend zu ziehen. Dazu brauchte er jede Unterstützung, und noch einmal an den Kardinal zu schreiben in der vagen Hoffnung, von ihm zu hören, erschien ihm sinnlos. Andererseits ließ sich nur ein Tor auf einen Kuhhandel ein, ohne sich vorher über die Bedingungen zu erkundigen.
»Nicht dass ich nicht dankbar wäre«, fuhr er daher fort, »im Gegenteil. Deswegen verwirrt es mich, warum Sie einem Fremden so großzügig vertrauen?«
Baron Vais legte eine Hand auf sein Herz. »Unter Männern gibt man sich sein Ehrenwort und hält es. Außerdem, hm, mir ist, als habe ich von Ihnen gehört. Kann es sein, dass Sie sich vor kurzem in Ancona aufhielten?«
Sofort war Giacomo doppelt auf der Hut. »Alles ist möglich, Baron, alles ist möglich.«
»Dann kann es nämlich sein, dass ich ein paar reizende junge Damen und einen charmanten jungen Herrn kenne, die einen großzügigen Abbate des Öfteren erwähnten, der Ihnen ähneln muss. Da diese jungen Leute nun in Rimini ansässig sind, erscheint es mir nicht zu weit hergeholt, dass ein Mann, der ihnen in Freundschaft verbunden war, sie nach erfolgreich erledigtem Auftrag wiedersehen will und auch wieder regelmäßig in Rimini verkehren möchte. Was aber nur dann möglich ist, wenn er sich vorher
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