Verfuehrung
Bruder bei so einer Familie in Stellung ist. Die haben gar nicht viel Geld in ihren Palästen.«
»Es sei denn«, sagte Giacomo, »sie lassen sich von ihrem Mann honorieren, wenn sie es vor seinen Augen mit anderen Männern treiben, mit Schmuck und hin und wieder mit blankem Gold.«
Das glaubten sie ihm. Das kurze Schweigen war nicht mehr lauernd, sondern verwirrt und erwartungsvoll zugleich. Man konnte förmlich sehen, wie die Gier nach Geld ihr geringes Denkvermögen mehr und mehr in Anspruch nahm.
»Im Ernst?«, fragte der eine nun zögernd, und Giacomo drehte sich zu ihm um, weil er aus den Augenwinkeln gesehen hatte, dass ein Offizier vor dem Stall, den sie zwischenzeitlich erreicht hatten, abgestiegen war, um sich an der Wand zu erleichtern.
Sich ein ungesatteltes Pferd aus den Ställen zu schnappen wäre sinnlos gewesen, weil Giacomo noch nie in seinem Leben ohne Sattel geritten war. Aufzusatteln hätte zu viel Zeit gekostet, und er beherrschte es auch nicht. Ohne einen Sattel wäre er jedoch umgehend vom Pferd gefallen, was immer noch leicht passieren konnte, denn seine Erfahrungen mit Pferden konnte man an einer Hand abzählen. Aber er konnte auch nicht länger zögern, sonst wäre seine Chance zu fliehen vertan. Das Pferd des Offiziers stand noch immer da, und er hoffte, dass dieses Soldatenpferd nicht nur einen bestimmten Reiter gewohnt war. Er wies auf eine Gruppe Männer, die sich ihnen näherten, behauptete, er habe den Herrn de Gages, Herzog von Modena, unter ihnen erkannt, und fragte, ob es möglich sei, sich ihm nähern zu dürfen, um die Angelegenheit mit seinem Pass zu klären. Dafür würde er seinen Wächtern auch gewiss alles über das versteckte Gold der Contessa erzählen, was sich zu wissen lohnte.
Seine Begleiter waren mittlerweile gierig genug, um einzuwilligen, zumal sie scheinbar nichts zu verlieren hatten, schwor Giacomo doch, ihnen auch dann Auskunft zu erteilen, wenn der Herzog von Modena ihn abwies. Also taten sie nichts, während er sich Schritt für Schritt von ihnen entfernte, scheinbar in Richtung der Reitergruppe, in Wirklichkeit auf das Pferd des Offiziers zuhaltend. Zwei Schritte vor dem Pferd kam der Zufall ihm zu Hilfe; jemand rief nach einem der Soldaten, und beide wandten sich um, von Giacomo weg. So schnell er konnte, trat er zu dem Pferd, setzte den Fuß in den Steigbügel, schwang sich hoch und saß im Sattel. Er hatte keine Sporen, doch er presste seine Absätze gegen den Leib des Pferdes und rief »los, los«, was Ansporn genug war, denn das Tier begann zu laufen, dann zu galoppieren, schneller und schneller. Giacomo hielt sich mit allen Kräften am Zügel und am Sattelknauf fest und hatte nicht die geringste Ahnung, wohin das Pferd wollte, was das kleinste seiner Probleme war, denn es kam ihm nur darauf an, so rasch wie möglich aus dem Lager zu kommen. Natürlich bemerkten die Wachen am Lagertor, dass etwas nicht stimmte, und brüllten ihm zu, er solle sofort anhalten, was er nicht hätte tun können, selbst wenn er es gewollt hätte. Der Vorposten, den er passierte, schoss sogar auf ihn, und das brachte das Pferd gänzlich zum Durchbrennen. Es kostete ihn all seine Fähigkeit zur Balance, die er sich je auf Gondeln und Schiffen erworben hatte, um sich nicht abwerfen zu lassen, während er durch und durch geschüttelt wurde und nichts als Wind und das Pfeifen der Kugeln hörte.
Als das Pferd endlich langsamer wurde, nahm Giacomo aus den Augenwinkeln zwei uniformierte Reiter wahr, die sich ihm von schräg hinten näherten. Es wäre auch zu schön gewesen, dachte er resignierend, doch dann fiel ihm auf, dass die Uniformen nicht die der Garnison von Pesaro waren.
»Herr, Sie können doch nicht so einfach in die österreichischen Vorposten hineinreiten«, sagte einer der Soldaten unwirsch in einem stark akzentuierten Italienisch, als sie sein Pferd zum Stehen gebracht hatten.
»Das Pferd ist mir durchgegangen«, erklärte Giacomo und spürte den dringenden Wunsch, gleichzeitig in Gelächter und Tränen auszubrechen.
»So?«, fragte der andere gedehnt. »Und das in der Nähe der Garnison von Pesaro, wie? Darf man fragen, wo Sie denn so eilig hinwollten? Wer sind Sie überhaupt?«
Jetzt lass mich nicht vom Regen in die Traufe kommen, dachte Giacomo. Er hatte nicht die geringste Lust, endlos von den österreichischen Vorposten befragt und festgehalten zu werden, und machte schnell eine geheimnisvolle Miene.
»Das kann ich nur Ihrem Befehlshaber offenbaren«,
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