Verfuehrung
sei der einzige Grund für das Handeln der Frau. Wenn es ihn glücklich machte und alles ohnehin auf das Gleiche hinauslief, was konnte das schaden?
In einer Woche konnte so viel geschehen.
»Du gehst nicht mit ihm nach Bologna«, sagte Petronio aufgebracht. »Du Lügnerin! Du hast versprochen, dass nicht alles umsonst war und du dich nicht von ihm beschwatzen …«
Sie legte ihm eine Hand auf den Mund; mit der anderen umklammerte sie seine Schulter. Die Mädchen und Mama Lanti waren noch nicht wieder zurückgekehrt, aber Giacomo holte etwas Schlaf nach, und Petronio stand mit ihr in dem Zimmer, das ihnen zur Probe und für Gespräche diente.
»Ich gehe für eine Woche nach Bologna«, sagte Calori leise, »um meine Angelegenheiten zu regeln und weil mir das so gefällt. Es ist meine Entscheidung und nicht deine. Und ich habe mich jeden Tag jede Stunde der letzten Jahre darum bemüht, eine bessere Sängerin zu werden, während du nur tanzt, wenn dir danach ist, also finde ich es wirklich anmaßend von dir, mir nicht zu glauben, dass ich weiterhin singen will!«
Sie erwartete, dass er sie zurückstieß, doch nichts dergleichen geschah. Er befreite sich noch nicht einmal aus ihrem Griff, obwohl sie spürte, dass er unter ihren Fingern heftig atmete. Langsam ließ sie ihn los.
»Ich dachte, du hättest mir verziehen«, sagte Calori. »Wenn du immer noch wütend auf mich bist, weil ich dir nicht schon früher die Wahrheit erzählt habe, dann gib es zu.«
»Für ein kluges Mädchen bist du manchmal strohdumm, Calori«, stieß er hervor, wandte sich von ihr ab und warf sich erneut voller Ärger auf das Sofa.
»Giacomo meint, du wärest eifersüchtig«, sagte Calori zögernd, weil sie es eigentlich immer noch nicht glaubte. Petronio rümpfte die Nase.
»Das sieht ihm ähnlich.«
»Das habe ich ihm auch gesagt«, gab Calori mit einer kleinen Grimasse zurück, und ein Hauch von einem Lächeln huschte über Petronios unglückliches Gesicht, ehe es wieder erstarb.
»Er hat recht.«
»Was?«, fragte sie fassungslos und ließ sich ebenfalls auf die Couch fallen. »Petronio – du hast dir nie –, ich meine, ich weiß, dass du ihn in Ancona am ersten Tag geküsst hast und er dir gesagt hat, er sei nicht interessiert, schließlich war ich dabei, aber ich dachte nicht, dass du ernsthaft …«
Diesmal war er es, der ihr den Mund zuhielt. »Ich bin nicht eifersüchtig, weil ich mit ihm ins Bett will«, sagte Petronio gereizt. »Schön, ich würde ihn nicht aus meinem Bett werfen, wenn er fragen würde, aber darum geht es doch gar nicht. Es geht darum, dass du nun deine ganze freie Zeit mit ihm verbringst, seit er in unser Leben eingedrungen ist, dass du ihm bereits nach einer kurzen Zeit die Wahrheit über dich anvertraut hast und mir erst nach Jahren und dass du – dass du ihn liebst.« Er ließ sie los. »Dass du ihn liebst«, wiederholte er.
Die Stille zwischen ihnen war so dicht und fest wie Spinnweben, und sie wusste, sie musste diese Spinnweben zerreißen. Sie musste einfach sagen, was in ihrem Herzen war.
»Ich liebe dich auch«, sagte sie, sich bewusst, dass sie es ihm schon einmal versichert hatte, während sie es Giacomo noch nicht gesagt hatte, wie sie plötzlich erkannte. »Nur anders. Du bist mein Bruder.«
Petronio seufzte und ergriff ihre Hand. »Das weiß ich«, sagte er ruhiger. »Es ist auch nicht so, dass ich es anders will. Mir ist ein Mangel an Brüsten lieber, wie du weißt, und außerdem warst du über drei Jahre mein Bruder, da fühlt man nicht einfach anders, nur weil du eine vertrackte Lügnerin bist. Du kannst mit allen gutaussehenden Männern der Welt ins Bett gehen, Calori, und mit den Frauen dazu, und es macht mir nichts aus, solange du glücklich dabei bist und mir ein paar Momente übrig lässt. Aber in deinem Herzen, dachte ich, da komme ich zuerst. Weil du das bei mir tust. Und jetzt ist er da.«
Ihre Finger verschränkten sich mit seinen. Er hatte, genau wie Giacomo, schmale Finger und keine sehr großen Hände, anders als Appianino; doch es waren Haken, die sich bei ihr festgesetzt hatten, lange schon, und sie nicht losließen. Wenn Petronio in Pesaro festgesessen hätte, dann hätte sie die Stadt erst gar nicht verlassen, Contessa hin, Engagement her. Vielleicht, weil sie ihn mehr liebte, oder vielleicht, weil sie ihm nicht zutraute, sich selbst zu befreien, sie wusste es nicht. Ganz gleich, was von beidem zutraf, oder beides, sie sprach es nicht aus. Sonst kam er womöglich
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