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Verfuehrung

Verfuehrung

Titel: Verfuehrung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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aufzugeben?
    Angiola konnte es. Angiola war ein grausames, undankbares Kind, das eine grausame, undankbare Frau geworden war und hierherkam, um ihr ihren mühsam errungenen Frieden wieder zu nehmen.
    »Mama«, begann Angiola, die unerträgliche Fremde, erneut, und diesmal riss Lucia sich von ihr los und versetzte ihr einen Stoß, ihr und ihrem fremden Leben, das weit weg von Lucia zu einem selbstsüchtigen Glück gereift war.
    »Es ist alles gesagt«, versetzte sie mit harter Stimme, und sie spürte förmlich, wie stolz Falier jetzt auf sie war. »Ich will Sie nicht mehr sehen … Signorina Calori.«

    Giacomo hatte bereits auf der Fahrt nach Bologna festgestellt, dass er und Calori entschieden unterschiedliche Vorstellungen davon hatten, wie man sich in harten Zeiten irgendwo einführen sollte. Als sie entdeckt hatte, dass er wie immer im besten Gasthaus der Stadt absteigen wollte, war sie entsetzt gewesen.
    »Giacomo, wir müssen irgendwo anfangen zu sparen.«
    »Nein, das müssen wir nicht. Vertrau mir. Ich werde mir auch gleich nach unserer Ankunft neue Kleider anfertigen lassen. Das spricht sich herum, der Gastwirt geht dann davon aus, dass ich Geld habe, und ich gelte als vermögender Mann, was wiederum bedeutet, dass wir eingeladen werden und ich wichtige Verbindungen knüpfen kann. Ich bin gut im Pharo, um uns etwas Bargeld zu erspielen, falls das Bankierhaus Orsi mir keine Wechsel ausstellt, aber das wird es. Und falls alles schiefgeht, nun …« Er hatte die Achseln gezuckt. »Wir wollen ohnehin nicht lange in Bologna bleiben, nicht wahr?«
    »Nein«, hatte sie gesagt und hinzugefügt, dass Sparsamkeit schon eine große Einkunftsquelle sei. Dann gestand sie ihm, dass sie ihn nicht nur aus Liebe begleitet hatte, sondern auch, um ihre Mutter wiederzusehen. Das waren alles andere als gute Neuigkeiten. Die Familie Lanti war amüsant, und in Ancona hatte er sie alle aufrichtig gemocht, aber in Rimini hatte die Wärme auf ihrer und auf seiner Seite nachgelassen. Eigentlich hatte er gehofft, in Caloris Bereitschaft, ihn nach Bologna zu begleiten, ein Omen dafür zu sehen, dass sie bereit war, ihre Familie allmählich hinter sich zu lassen. Jetzt zu hören, dass es noch eine weitere Mutter gab, mit der man rechnen musste, stimmte ihn nicht eben glücklich, doch er hütete sich, das laut auszusprechen. Calori war so eng mit den Lantis verwachsen, dass es sich bei dieser leiblichen Mutter nicht um jemanden zu handeln schien, der ihr nahestand. Wenn er nun protestierte, dann würde er sie nur zu statt weg von ihrer Mutter treiben.
    Seine Strategie erwies sich als erfolgreich. Als sie von ihrem Besuch bei ihrer Mutter in das Gasthaus zurückkehrte, das zweitbeste, um ihr einen Gefallen zu tun, war sie in Tränen aufgelöst und bereit, alles Zerbrechliche an die Wände zu werfen. Nichts war ihr mehr wichtig, auch der Schneider nicht, den er bestellt hatte. Sie erzählte ihm schließlich die gesamte Geschichte, und er war gleichzeitig erleichtert und beschämt, doch er tröstete sie, so gut er konnte.
    »Du wirst es nicht gerne hören, aber wenn man nichts von seinen Eltern erwartet und nicht mehr ihre Nähe sucht, ist man erheblich glücklicher«, sagte er, und das war nicht geheuchelt. Er hatte lange gebraucht, um diese Lektion zu lernen, doch gelernt hatte er sie. »Sie hat ihre Wahl getroffen, deine Mutter.«
    »Weil sie keine andere besaß. Weil ich ihr keine gelassen hatte. Sie ist nicht – sie hat immer jemanden gebraucht, der ihr den Rücken stärkt. Was hätte sie denn tun sollen? Mit einem Säugling ins Armenhaus gehen?«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein, natürlich nicht. Aber das ändert trotzdem nichts. Außerdem, sei ehrlich, mein Schatz: Wärest du denn lieber mit diesem Professor verheiratet und in ihrer Nähe als eine Sängerin und frei?«
    »Nein«, gab sie zu. »Aber …«
    »Aber du möchtest dich noch etwas in der Vorstellung sonnen, du wärest zu diesem Opfer bereit, um dich besser bei dem Gedanken an deine Mutter zu fühlen«, konstatierte er.
    »Könnten wir sie nicht entführen?«
    »Ganz bestimmt nicht«, entfuhr es ihm, und er rechtfertigte sein Entsetzen schnell durch akzeptable Gründe. »Dann hätten wir die hiesigen Behörden am Hals. Wenn sie rechtmäßig verheiratet ist, hat nur ihr Gatte Rechtsgewalt über sie, und wir wären im Vergleich dazu Vagabunden.«
    Sie warf ihm einen Blick zu, dem er entnahm, dass sie sehr wohl wusste, dass er andere Gründe hatte. Im Gegensatz zu ihm

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