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Verfuehrung

Verfuehrung

Titel: Verfuehrung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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gegenüber nicht, sonst …«
    »… lassen Sie mir die Zunge herausreißen, ja, das habe ich verstanden. Darf ich fragen, warum um alles in der Welt der Herzog nicht – nun, es gibt doch genügend Männer, die freiwillig Menschen zusammenschlagen.«
    »Weil das in der Regel trunkene Narren sind, die ihre Beherrschung so leicht wie ihre Zungen verlieren«, gab der Lakai geduldig zurück. »Außerdem ist es ihm lieber, wenn eine Frau oder ein Kastrat es tut.«
    Auf einmal hatte sie ein ungutes Gefühl, was die Andeutungen des Herzogs hinsichtlich des Primo Uomo von Neapel betraf. Mutmaßlich war der Moment, in dem sie erklärt hatte, die Rollen des Kastraten übernehmen zu können, auch der gewesen, in dem sie sich in den Augen des Herzogs als Bestraferin qualifiziert hatte. Allmählich gewann das Gefühl der Absurdität die Oberhand über ihre Furcht.
    »Ich habe in meinem ganzen Leben noch niemanden geschlagen, nicht ernsthaft«, sagte sie, »bis auf ein paar Ohrfeigen unter Geschwistern.«
    Der Lakai wurde etwas freundlicher. »Es ist nicht so schwer«, erklärte er. »Wenn sonst niemand zur Hand ist, dem er trauen kann, tue ich es. Aber bei mir fehlt es nach all den Jahren eben an der Glaubwürdigkeit. Denken Sie einfach an jedes Mal, wenn ein reicher Herr Sie wütend gemacht hat, und behalten Sie gleichzeitig im Kopf, dass er Ihre Rechnungen zahlt, damit Sie nicht zu weit gehen. Und Ihre Rechnung bezahlen, das wird er. Er steht zu seinem Wort. Er ist ein guter Mann.«
    »Wenn er nicht gerade droht, er lässt jemandem die Zunge abschneiden«, konnte sie nicht umhin zu erwidern.
    »Weil von dieser Schwäche nichts an die Öffentlichkeit dringen darf. Haben Sie nie ein Geheimnis gehabt, dessen Sie sich schämten?«
    Das brachte sie zum Schweigen.
    »Sie sind eine Komödiantin – eine Sängerin. Es ist eine Rolle. Können Sie diese Rolle spielen?«
    Es bleibt mir ja wohl nichts anderes übrig, dachte Calori, denn nach all dem, was der Lakai ihr erzählt hatte, würde er sie sonst auf gar keinen Fall ungeschoren gehen lassen. Sie zuckte die Schultern.
    »Ich werde improvisieren.«

    Das Gemach, in dem man den Herzog untergebracht hatte, roch nach Rosenöl und altem Kerzenwachs. Soweit sich das in dem dämmrigen Licht der Kerzenleuchter erkennen ließ, war der blaue Brokat der Wandteppiche der gleiche, den man für die Polsterung der Stühle und für die Vorhänge des Bettes verwendet hatte. Der Herzog stand am Fenster zum Innenhof, mit dem Rücken zu ihr, als der Lakai sie einließ und leise die Tür hinter ihr schloss. Sie war immer noch zwischen Zorn, Furcht, unangebrachter Erheiterung und einem Quentchen Mitleid hin- und hergerissen. Aber sie war sich auch sehr bewusst, dass die Darstellung, die sie nun geben sollte, so wichtig wie ihre Gesangsdarbietungen für ihn sein würde. Allein das schob die Furcht für den Moment beiseite und machte den Zorn zu dem dominierenden Gefühl in ihr. Sie hätte das Teatro San Carlo allein durch ihr Können verdient. In einer gerechteren Welt wäre es so gekommen.
    Abrupt ließ sie den Rohrstock, den der Lakai ihr in die Hand gedrückt hatte, durch die Luft sausen.
    »Dreh dich um, du Nichts«, zischte sie. Der Herzog zuckte zusammen, und erst jetzt kam ihr der Gedanke, der Lakai könnte alles erfunden haben. Vielleicht war er ein leidenschaftlicher Anhänger des Primo Uomo von San Carlo; vielleicht ein Verehrer der Prima Donna, die eine mögliche Rivalin schon vor ihrem Erscheinen in Neapel loswerden wollte, indem er sie vor den Augen ihres Gönners unmöglich machte. Warum war sie nicht früher auf diese Möglichkeit gekommen?
    Schweißperlen standen auf ihrer Stirn, als der Herzog sich umdrehte. Er sagte nichts und trug, soweit man das im Halbdunkel erkennen konnte, die gleiche ernste Miene wie immer zur Schau. Gewiss hätte er schon längst eine Erklärung gefordert, wenn der Lakai gelogen hatte.
    Vielleicht war er aber auch gelangweilt genug, um wissen zu wollen, wie weit sie gehen würde.
    Wenn der Lakai gelogen hatte, dann war es jetzt zu spät, um sich noch zu entschuldigen. Sie musste darauf setzen, dass alles der Wahrheit entsprach, und vorwärtsgehen. Ihr fiel ein, was Giacomo darüber erzählt hatte, wie er in der Garnison von Pesaro das Pferd gestohlen hatte, und auf seltsame Weise half ihr das. Vorwärts, und kein Blick zurück.
    »Auf die Knie«, sagte sie. Der Herzog trat einen Schritt näher, noch einen, und dann sank er tatsächlich in die Knie. Es gab noch

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