Verfuehrung
keinen Grund, erleichtert zu sein, nicht, ehe sie die ganze Angelegenheit hinter sich hatte, ohne selbst wie Maria verprügelt und hinausgeworfen zu werden. Bestraft werden wollte er, das hatte der Lakai behauptet. Calori dachte daran, wie der Herzog über die verlorene Größe im Vergleich zur Gegenwart geklagt hatte. Dachte an den Groll über all die Ungerechtigkeiten für Frauen, für kleine Leute in ihrer Welt, der sich nun schon seit langem in ihr staute und staute und staute.
»Was bist du?«, fragte sie. »Ein Nichts.«
Sie brachte es noch nicht über sich, ihn zu schlagen, also ließ sie den Rohrstock stattdessen noch einmal durch die Luft sausen, um ihre Worte zu unterstreichen.
»Wenn deine Vorfahren nicht irgendwann erfolgreich die Raubritter gespielt und genügend Leute umgebracht hätten, um ihre Ländereien zu rauben, dann wärest du heute ein Bettler auf der Straße!«
Er runzelte die Stirn. »In mir ist das Blut des heiligen Ludwig«, begann er, »und …«
Es kostete sie einiges, aber sie beschwor das Bild von Falier und ihrer Mutter vor ihrem inneren Auge herauf, von der Contessa und sich selbst auf den Knien vor dieser Frau wie von dem alten Mütterchen in Bologna, die ein Herzogsohn totgeritten hatte. Das verlieh ihr genügend Abscheu, um die Hemmung, die sie hatte, zu überwinden, und ihm durch einen Schlag ins Gesicht das Wort abzuschneiden, nicht mit dem Stock, sondern mit der Hand, die frei war. Sie konnte einem anderen Menschen nicht mit dem Stock ins Gesicht schlagen, obwohl sie wusste, dass es täglich geschah. Genau auf die Art wurden so viele hohe Herren Bettler mit ihren Spazierstöcken los.
»… Und du bist nichts.« Ihre Handfläche brannte. In seine Miene kam Bewegung. Er reckte ihr das Kinn entgegen, und sie schlug ein weiteres Mal zu. »Du kannst – nichts.« Das erinnerte sie an Melani und ihre Lektionen im Spielen von Klavier und Orgel. »Streck deine Hände aus«, sagte sie, und er gehorchte. Sie ließ den Rohrstock auf seine geöffneten Handflächen sausen, wie es Melani bei ihr getan hatte, die Bewegung nachahmend, was es leichter machte, und er sog aufkeuchend die Luft ein. Mittlerweile fing seine Wange an, sich zu röten, und seine Lippen, die sonst dünn und blass waren wie der Rest von ihm, traten stärker hervor. Ihr Herz hämmerte; sie dachte daran, wie der Lakai ihr gedroht hatte, ihre Zunge herausreißen zu lassen, sie für ihr Leben zu verstümmeln, nur, damit dieser Mann seine seltsamen Spiele spielen konnte.
»Nutzlos«, stieß sie hervor. »Ein nutzloser Blutegel, das bist du, das seid ihr alle. Zieh dir deine Hose aus.«
»Aber das ist nicht – ich …«
»Du wirst es tun, und du wirst es schnell tun«, sagte sie drohend. Er zögerte noch einen Moment, dann fing er an, an seinem Hosenbund zu nesteln.
»Die Welt beherrschen, dass ich nicht lache«, sagte sie. »Was würdest du wohl mit der Welt tun, wenn du sie erobern könntest? Kannst du ihr irgendetwas geben, das sie besser macht? Kriege führen, das könnt ihr, Leute herumkommandieren, das könnt ihr, uns in Angst vor euch kriechen lassen, das könnt ihr. Aber etwas schaffen, das Menschen glücklich macht – dazu braucht ihr andere!«
Seine Hosen waren heruntergerutscht. Sie befahl ihm, sich vor das Bett zu knien, und obwohl er halb stolperte, halb hüpfte, gehorchte er.
»Den Oberkörper auf das Bett.«
Sein emporgerecktes bloßes Hinterteil hätte in dem wirren Gefühlsmischmasch, der in ihr kochte, fast die Heiterkeit überhandgewinnen lassen, und sie biss sich auf ihre freie Hand, um das zu verhindern. Sie durfte auf keinen Fall lachen. Ihn beschimpfen, schlagen und erniedrigen, ja, aber nicht über ihn lachen. Giacomo war der einzige Mann gewesen, der über sich hatte lachen können, und sie glaubte nicht, dass es noch mehr davon gab.
»Du wirst jeden Schlag laut mitzählen«, sagte sie, weil sie etwas Vertrautes brauchte, und als Lehrer laut im Takt zu zählen war eine Übung, um Schüler bei ihrem Vortrag auf die Probe zu stellen. Wer sowohl im Takt blieb als auch durch das laute Zählen nicht aus der Fassung gebracht wurde, machte sich damit auf das ständige Schwatzen des Opernpublikums gefasst.
Als sie den Rohrstock auf sein nacktes rundes Fleisch niederfahren ließ, stellte sie sich ein Kissen vor, aber nicht lange, denn er ächzte »eins« mit einer Erregung, die mehr nach Ekstase als Schmerz klang. Halte Rhythmus, befahl sie sich, es ist eine Übung, du schlägst den Takt zu
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