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Verfuehrung

Verfuehrung

Titel: Verfuehrung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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sie schlug die Augen nicht nieder.
    »Das ist das Beste, was ein Mensch je tun kann, Euer Exzellenz«, sagte sie ruhig, und die Kutsche fuhr weiter.

    Neapel war von tiefen Wolken umgeben und in Dunst gekleidet. So war es ihr unmöglich, den Vulkan auszumachen, von dem sie so viel gehört hatte. Das Meer erschien ihr unruhiger als das an der Ostküste, nicht so spiegelglatt wie dort, und die Hügel, auf denen die Stadt gebaut war, mit ihren tief zum Hafen abfallenden Straßen und engen Gassen, die manchmal fast selbst wie Schluchten wirkten, kamen ihr sehr fremd vor. Petronio, Maria und ihr wurde gestattet, im Palazzo des Herzogs zu bleiben, bis sie eine Wohnung fanden. Wie bei vielen Adligen befand sich seine Stadtresidenz gar nicht weit von dem neuen Palazzo Reale und der Oper entfernt, so dass sie sich sofort aufmachte, um sich dem Direktor vorzustellen und um sich, wenn möglich, die Bühne anzuschauen. In dem ganzen Viertel wurde sehr viel neu gebaut – selbst der königliche Palast wurde gerade wieder umgestaltet und war noch nicht ganz fertig. Überall von Handwerkern umgeben, stellte sie sich vor, auf der Bühne nicht nur den Lärm der Zuschauer, sondern auch noch den der Handwerker übertönen und als Belohnung einiges von dem überall vorhandenen roten Staub hinunterschlucken zu müssen. Bei dem allgegenwärtigen Dreck dachte sie unwillkürlich an ein Bad. Der Lakai des Herzogs hatte ihr mitgeteilt, dass es nicht nur im Palazzo, sondern in fast allen Gebäuden der Stadt ständigen Zugang zu frischem Wasser gab, weil Neapel über ein unterirdisches Aquädukt versorgt wurde, das seit der Zeit der alten Römer immer noch Wasser für die gesamte Stadt lieferte, und sie freute sich darauf, diese Möglichkeit später zu nutzen.
    Petronio sah ihren Blick und fragte, ob sie zurückgehen wolle, und Calori schüttelte den Kopf. Die Neugier war stärker, und im Übrigen hatte sie bereits, wie es sich gehörte, ein kleines Briefchen durch einen der herzoglichen Bediensteten vorausgeschickt, um ihre Ankunft zu melden.
    Die Oper war direkt an den Palast des Königs angegliedert und genau wie dieser ein Bauwerk im neuen französischen Stil, während ihr gegenüber eine der alten Burgen lag, in ihrer grauen Trutzigkeit wie ein Überbleibsel einer vergangenen Zeit. Die Hecken, ebenfalls im französischen Stil zu Tierformen geschnitten, und die Palmen, die sowohl Palast als auch Oper von hinten abschirmten, waren dagegen in ihrem tiefen Grün ganz und gar aus dem Hier und Heute.
    Wie sich herausstellte, war der Direktor nicht anwesend, aber sein Stellvertreter, Nicola Logroscino, der gleichzeitig auch der Hauskomponist zu sein schien und auf der Liste der Menschen stand, die Melani angeschrieben hatte, nahm sie in Empfang. Er fragte sie nach ihrer Ausbildung vor Melani, und als sie Appianino als ihren ersten Lehrer erwähnte, klagte er um dessen Tod. Dann überraschte er Calori, als er hinzufügte, Appianino sei noch so weit von dem entfernt gewesen, was er hätte erreichen können.
    »Aber er hat vor Kaisern und Königen gesungen!«
    »Stimmlich«, sagte Logroscino streng, »stimmlich. Er hat die Menschen zum Seufzen gebracht, gut und schön, aber er hätte sie rasend machen können. Außerdem – Kaiser, Könige, was ist das schon für ein Publikum? Verstehen die vielleicht etwas von Musik? Sie kaufen doch nur Namen. Aber werden die Sänger dadurch besser? Meistens im Gegenteil, denn sie arbeiten nicht mehr an sich. Bah.« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Und dabei haben wir noch Glück, wenn sie sich aufs Zuhören beschränken. Mir schreibt der arme Salimbeni aus Preußen, dass der König dort es sich in den Kopf gesetzt hat, Flöte zu spielen und Libretti zu verfassen. Genügt es dem Mann nicht, in Schlesien einzufallen und uns hier in Italien Krieg mit den Österreichern zu verschaffen?«
    Das klang nicht danach, als ob eine neu erwachte Kompositionsleidenschaft des Herzogs willkommen sein würde, dachte Calori und hütete sich, das laut auszusprechen. Stattdessen verteidigte sie Appianino.
    »Ich kann nur über seine Zeit in Bologna sprechen«, sagte sie, »und da war er wundervoll. Sie haben ihn dort nicht gehört. Wie also können Sie wissen, was er erreicht hat?«
    »Solange er es nicht auch in Neapel erreicht hat, so lange zählt es nicht«, gab Logroscino unerbittlich zurück. »Hier ist das strengste und beste Publikum der Welt zu finden, mein Fräulein. Wenn Sie hier untergehen, dann nützt es Ihnen

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