Verfuehrung
verschwand wieder, ehe sie eine Antwort geben konnte. Offenbar gingen Aristokraten, die um die verlorenen Zeiten der Weltherrschaft trauerten, davon aus, dass sie gar nicht erst um Einverständnis bitten mussten. Aber war ihr das neu? Nein, das war es nicht.
Das ist die gottgewollte Ordnung, von der die Lehrer, die Priester und vor allem die Betroffenen selbst so gerne redeten.
Als der Lakai kam, um sie zu holen, war sie vollständig angekleidet, nicht in dem Kleid, das sie vorher getragen hatte, und schon gar nicht in ihrem Nachthemd, sondern in ihren Männerkleidern. Ihre Zofe Maria hatte gefragt, ob sie bleiben sollte, doch Calori wollte in nichts der Contessa ähneln und hatte sie in das Dienstbotenquartier geschickt. Der Lakai stutzte, als er Calori angekleidet sah, dann sagte er: »Gut.«
»Gut?«, wiederholte sie.
Der Lakai, ein kleiner, unauffälliger Mann mittleren Alters wie Don Sancho, was sie ohnehin argwöhnisch stimmte, kreuzte die Arme.
»Hören Sie«, sagte er, und staunend begriff sie, dass der Unterton in seiner Stimme der eines Beschützers war, »Sie scheinen nicht dumm zu sein. Er ist ein guter Mann. Er hat Bedürfnisse. Er lebt sie ohnehin selten genug aus.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass nicht jede Frau davon träumt, auf so umsichtige Weise gewonnen zu werden«, entgegnete sie sardonisch.
»Darum geht es nicht«, sagte der Mann. »Es ist eine Vertrauensfrage. Er kann Ihren Vertrag zerreißen, deswegen vertraut er Ihnen. Andererseits reden Sie ihm auch nicht schön, und das heißt, dass Sie in Frage kommen.«
»Irgendeine Frage habe ich bisher noch nicht gehört.«
Der Lakai verzog das Gesicht. »Wenn Sie einen Ton von dem verraten, was ich Ihnen jetzt sage, dann können Sie sich von Ihrer Zunge verabschieden, und das meine ich wörtlich. Das ist der andere Grund, warum er Ihnen vertraut. Sie haben ihn überzeugt, dass die Musik wirklich das ist, für das Sie leben. Wenn Sie Wert darauf legen, Ihre Stimme zu behalten …«
Das Entsetzen, das sie erfasste, war größer als alles, was sie bisher erlebt hatte, einschließlich der Sorge um Giacomo in Pesaro und der Nachricht, dass Appianino tot war. Es kostete sie alle Kraft, derer sie fähig war, und all die Disziplin, die sie je von Melani gelernt hatte, doch sie zeigte nichts von ihrem Schrecken. Während sie innerlich zitterte, klang ihre Stimme, diese gefährdete Stimme, klar und fest.
»Ich weiß nicht, wie Ihr Herzog seine Bettgefährten liebt, aber eine solche Erpressung bringt ihm bestenfalls ein Stück Holz ein.«
»Sie brauchen gar nicht mit ihm ins Bett zu gehen«, sagte der Lakai in einer Mischung aus Ungeduld und jener Beschützerlaune, die offenbar seinem Herzog galt. »Ich sagte doch, dass es nicht darum geht.«
»Warum hören Sie nicht endlich mit dem Herumgerede auf«, sagte Calori und hielt weiterhin die Furcht, die sie empfand, aus Gesicht und Stimme fern, »und sagen mir, was genau Ihr Herzog von mir will.«
»Dass Sie ihn schlagen«, sagte der Lakai und klang zum ersten Mal leicht verlegen. Jetzt war es Calori, die ihre Arme kreuzte, um zu verbergen, dass er sie gerade völlig überrumpelt hatte. Sie fühlte sich wie das unwissende Kind, das sie einmal gewesen war, in Bologna, ehe alles begann.
»Dass ich …«
»In seiner Jugend wollte er Mönch werden, hat sich selbst kasteit, aber die Klöster heutzutage … Außerdem war er der Erbe des Titels, also kam es nicht in Frage. Er war sogar verheiratet. Aber es war ein Opfer. Da kam eine Geliebte erst gar nicht in Frage. Dann dachte er, er müsse seine Seele gefährden und es mit Männern versuchen, doch es ist der Akt als solcher, der ihm zuwider ist, in jeder Weise, mit Männern nicht weniger als mit Frauen. Nur eines genießt er. Wenn man ihn bestraft. Ihn schlägt, mit der Hand, dem Rohrstock, dem Gürtel. Es muss jemand sein, von dem es glaubhaft kommt, deswegen hat er Ihnen auch gestattet, mit uns zu reisen. Er wollte Sie aus nächster Nähe studieren.«
Nun war es nicht nur Furcht, die sie unterdrücken musste, sondern auch der plötzliche wilde Wunsch, zu lachen. Ein Blick auf den Lakai genügte, um zu wissen, dass es dem bitterernst dabei war.
»Deswegen ist es gut, dass Sie so gekleidet sind. Je unzugänglicher, desto besser. Sie sind sein Bestrafer. Aber nur heute Nacht. Das muss klar sein. Sie sind nicht seine Geliebte. Er ist nur der Gönner des Theaters. Was Sie heute Nacht tun, werden Sie nie erwähnen, niemandem gegenüber, auch ihm
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