Verfuehrung
solche, die in Neapel ausgebildet wurden und dort zuerst auftraten. Caffarelli, Farinelli, Selimbeni, auf sie alle trifft das zu, und man erzählt sich selbst auf den Straßen, wie die Königshäuser sich um sie reißen. Auf diese Weise tragen Sie dazu bei, die Welt zu formen, Euer Exzellenz – Sie schicken ihr die besten Sänger der Welt.«
»Sänger«, wiederholte er bitter und mit einem immer größeren Maß von Zorn. »Musik! Ich könnte genauso ein Krämer sein, der Kanarienvögel verschickt! Ich rede von vergangener Weltherrschaft, und Sie kommen mir mit Musik!«
Wenn er sie, Maria und Petronio aus der Kutsche warf, würde sie von Glück reden können, wenn eine Ortschaft in der Nähe war und möglichst keine Straßenräuber. Sie zwang sich, ihm weiter geradewegs in die farblosen Augen zu blicken.
»Musik ist meine Welt«, sagte sie fest.
Ein stickiges Schweigen setzte ein, in dem sie Maria schneller atmen hörte. Der Lakai machte ein ausdrucksloses Gesicht.
»Das ist ein weiterer Grund, warum ich mich mit Sängern abgebe«, sagte der Herzog schließlich. »Sie haben noch eine Welt, die sich zu erobern lohnt.«
In dieser Nacht waren sie in dem kleinen Landhaus eines der Verwandten des Herzogs zu Gast, der jedoch in Rom weilte, so dass nur der Verwalter und ein paar Diener da waren, um sie willkommen zu heißen. Diesmal wurde Calori in einem Zimmer in der Nähe des Herzogs untergebracht, und sie hatte das unbestimmte Gefühl, dass dies auf das Ende ihrer gerade begonnenen Glückssträhne hinauslief. Petronio, der immer noch mit dem Lakai in die Domestikenzimmer gesteckt wurde, dachte offenbar dasselbe und schenkte ihr eine kleine Grimasse.
»Ich sag’s nicht gerne, aber …«
»Jeder sagt gerne ›Ich habe es dir ja gleich gesagt‹, Petronio.«
»Gut, dann lass mich dich wirklich überraschen. Ich glaube, bei dem würdest du damit durchkommen, die beleidigte Unschuld zu spielen. Er würde das respektieren und dich trotzdem an der Oper singen lassen.«
»Aber das rätst du nur«, sagte sie. »Du kannst es nicht wissen.«
»Keiner von uns kann das, Bruderherz«, sagte er, und die Anrede glitt ihm so natürlich von den Lippen, dass es eine Sekunde dauerte, bis sie beide bemerkten, was er gesagt hatte, und dass es nicht länger stimmte. Sie wusste selbst nicht, was sie tun würde. Aber es war unmöglich, nicht daran zu denken, dass der letzte Mann, und es war erst ihr zweiter überhaupt gewesen, dem sie sich hingegeben hatte, Giacomo gewesen war, und sich zu fragen, ob er jetzt bereits eine andere Frau in den Armen hielt. Gewiss tat er das. Er war jemand, der im Augenblick lebte und sich kein Vergnügen versagte, auch wenn er behauptete, immer dabei verliebt zu sein. Die griechische Sklavin und ihre Schwestern waren mehr als Beweis genug dafür.
Aber vielleicht dachte er auch gerade jetzt an sie, und sie suchte nur nach Entschuldigungen, um sich zu rechtfertigen. Wo war ihr Stolz? Wenn sie jetzt bereit war, für einen Vertrag in Neapel mit dem Herzog ins Bett zu gehen, dann hätte sie in Pesaro noch einmal das Spielzeug für die Contessa abgeben können. Doch was hatte sie zu Appianino gesagt? Alles würde sie tun, alles. Nur hatte es damals nichts so Konkretes wie jetzt gegeben.
Der Herzog behandelte sie beim Abendessen, das die Domestiken seines Vetters für sie anrichteten, immer noch nicht anders. Er ließ sie für sich singen, und es war seltsam, das für einen Mann und einige unfreiwillige Zuhörer in Gestalt von Dienern zu tun, ohne es eine Probe zu nennen, aber es half ihr, ihre Ungewissheit in Töne zu verwandeln. Es war Mandane, die Perserin, die nicht wusste, was sie tun sollte, nicht Angiola Calori. Es war Orfeo, der Sänger, der um Eurydike klagte, nicht die Calori, die immer noch geteilt war und nicht wusste, ob sie ihren besseren Teil in Bologna zurückgelassen hatte. Ihre Sehnsucht galt nicht ihren Lebenden, nicht Giacomo, und nicht ihren Toten, nicht Appianino, sie galt Frauen und Männern, die nie gelebt hatten, und ihre Kadenzen, kühner und gewagter denn je, hoben sie weit, weit fort von der Unvollkommenheit ihrer Gegenwart.
Als der Herzog selbst auf einen Handkuss verzichtete, ehe er sich zurückzog, sagte Calori sich erleichtert, dass sie und Petronio sich beide geirrt haben mussten, und ging beschwingten Schrittes in das Gemach, das ihr zur Verfügung gestellt worden war, bis der Lakai des Herzogs sie einholte.
»Halten Sie sich heute Nacht bereit«, sagte er nur und
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