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Verfuehrung

Verfuehrung

Titel: Verfuehrung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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einem Vortrag, das ist es, sonst nichts, und er keuchte, »zwei«, als der Stock erneut niederging.
    Nach »zehn« ging ein Schauder durch ihn, und sie hörte auf. Sie wusste immer noch nicht, ob ihr mehr nach Weinen oder Lachen zumute war. Ihre Handfläche brannte immer mehr, ihr Arm tat weh, obwohl sie über viel längere Zeiträume Lauten gehalten und gespielt hatte, oder das Reisespinett. Schweiß lief ihr über den Rücken und zwischen ihre Brüste. Sie hoffte, dass es nur an der Wärme und ihrem angsterfüllten Zorn lag.
    Er wälzte sich herum, und in seinen Augen lag mehr Leben als auf ihrer ganzen Reise bisher.
    »Mehr«, ächzte er, »mehr.«
    Sie holte tief Luft. Vielleicht irrte sie sich mit dem, was sie jetzt tat, doch selbst wenn, dann war ihr das gleich. Sie hatte wieder eine Grenze erreicht.
    »Nein«, sagte sie in ihrem verächtlichen, einstudierten Herrscherinnentonfall, und wieder glitt ein Schauder durch ihn, der ihn erschütterte. Das war der bestmögliche Zeitpunkt für einen Abgang, entschied Calori. Sie drehte sich auf der Stelle um und zwang sich, gemessen zu gehen, wie eine Siegerin, nicht wie ein Flüchtling. Schritt auf Schritt auf Schritt.
    Erst als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, ohne dass er sie zurückrief, gestattete sie sich, wieder auszuatmen.

    Am nächsten Morgen forderte er sie nicht auf, mit ihm zu frühstücken, was gleichzeitig eine Erleichterung und eine Sorge war. Stattdessen ließ sie sich Brot mit Kaffee auf ihr Zimmer bringen und teilte beides mit Maria und Petronio, als der aufkreuzte. So, wie er aussah, hatte er ebenfalls eine lebhafte Nacht verbracht.
    »Hatte ich recht?«, fragte er, als Maria ihn hereinließ.
    »Ich bin nicht die Geliebte des Herzogs«, gab sie zurück, und wenn er, der sie gut genug kannte, um zu wissen, dass sie ihm gerade ausgewichen war, ahnte, dass sich mehr als eine Wahrheit hinter ihren Worten verbarg, ließ er es sich nicht anmerken.
    »Dafür bin ich der einnächtige Geliebte des hiesigen Verwalters, und er hat mir einen Korb frischer Kirschen für unsere Reise mitgegeben«, gab er stattdessen mit einem Grinsen zurück. Calori lachte, schlug ihm auf den Arm und sagte, er sei unverbesserlich. Es war nur ein leichter Klaps, und sie tat es, ohne nachzudenken, aber sowie sie es getan hatte, zuckte sie zusammen.
    »Für eine fleißige Nacht kann man Ergebnisse vorweisen«, sagte Petronio. »So ist das eben.«
    Erst in der Kutsche sah sie den Herzog wieder. Er benahm sich, als habe es die letzte Nacht nicht gegeben, und sie war zum allergrößten Teil darüber erleichtert. Auf der restlichen Reise nach Neapel forderte er sie nicht ein zweites Mal auf, ihn zu bestrafen. Einmal jedoch, kurz, ehe sie Neapel erreichten, sagte er plötzlich: »In meiner Jugend, ehe ich dem großen Händel begegnete, da habe ich selbst hin und wieder versucht zu komponieren.«
    Das überraschte sie fast so sehr, wie es die Erklärung seines Lakaien in der Nacht getan hatte.
    »Aber dann ließ ich es sein. Wenn man göttlichem Talent zuhört und selbst weiß, nie etwas Ebenbürtiges zuwege bringen zu können … nun ja.«
    »Nichts Ebenbürtiges vielleicht«, entgegnete sie vorsichtig, »aber doch das Ihre. Hat nicht jeder von uns seine eigene Weise, sich auszudrücken? Wenn ich je das Glück hätte, Farinelli zu hören, dann könnte ich gewiss nicht wie er singen, aber ich hoffe doch, dass ich danach noch weitersänge, eben auf meine Weise.«
    Er rümpfte die Nase. »Sie sind eben noch jung, Signorina. Warten Sie, bis Sie in meinem Alter sind.«
    Er war laut eigener Aussage auch noch jung gewesen, als er Händel begegnet war, doch das schluckte sie hinunter. Dies war das erste Gespräch, das sie mit ihm führte, wo er ihr wie ein Mensch vorkam, mit dem sie sich auch hätte unterhalten können, wenn er nicht der Hauptgönner des Theaters San Carlo gewesen wäre.
    »Immerhin«, fuhr er fort, »kann ich mir jetzt die Freiheit von Altersschnurren leisten. Ich glaube, ich werde noch einmal versuchen, eine Arie zu komponieren. Wenn zu nichts anderem, dann wird es mir dazu dienen, meine Zeit zu nutzen.« Er warf ihr einen schrägen Blick zu. »Und wenn ich sehr viel Glück habe, wenn der Himmel mir gewogen ist, dann kann ich damit die Welt vielleicht sogar ein wenig verschönern.«
    Da wusste sie, dass er ihr in jener Nacht tatsächlich zugehört hatte, statt sich nur an seiner eigenen Erniedrigung zu ergötzen. Sie spürte, wie ihr Röte in die Wangen stieg. Doch

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