Verfuehrung
Fürstlichkeiten, die Petitionen beim Papst einreichen können?«
»Ich wusste doch, dass mein Theologiestudium irgendwann noch zu etwas nütze ist. Wenn dein Gatte dich verlässt, um in ein Kloster zu gehen, kann man das als Wunsch konstruieren, aus dem weltlichen Stand in den kirchlichen überzutreten. Vor ein paar Jahrhunderten war das noch häufiger der Fall, und die davon betroffenen Ehen wurden tatsächlich für ungültig erklärt. Aber um so eine Erklärung bei der zuständigen Diözese schnell zu erlangen, wäre natürlich ein Kleriker von Einfluss hilfreich. Am besten ein Kirchenfürst.«
Ihr hoffnungsvolles Gesicht fiel wieder ein wenig in sich zusammen.
»Mein Bruder ist kein Kirchenfürst«, sagte sie leise.
»Nein«, sagte Giacomo, »aber zur Familie Grimani gehört neben unserem regierenden Dogen auch ein Kardinal. Und natürlich mein Vormund, der Abbate.«
Der Abbate Grimani hatte sich in den letzten Jahren kaum verändert; er war vielleicht ein wenig grauer geworden und eine Spur hagerer, aber ansonsten war er immer noch die gleiche Gestalt aus Giacomos Kindheit, die den Kopf schüttelte bei seinem Anblick. Immerhin siezte er Giacomo inzwischen und behandelte ihn etwas mehr wie einen Erwachsenen und etwas weniger wie einen vorlauten Jungen, zu dessen Vormund er nun einmal gemacht worden war.
»Was muss ich in der Zeitung lesen?«
»Sehr vieles, wie ich hoffe. Ihr Augenlicht scheint mir noch gut zu sein. Falls nicht, so wäre ich sehr bekümmert und würde Brillen empfehlen, nur von Glasschleifern aus Murano, versteht sich, die …«
»Giacomo«, unterbrach ihn der Abbate streng, »haben Sie wirklich einen Mann im Duell getötet und sind dann von der spanischen Armee desertiert? Bei der Sie überhaupt nichts zu suchen hatten, wo Sie doch nach dem Wunsch Ihrer guten Großmutter in der Kirche zu Amt und Würden kommen sollten?«
Es wäre Giacomo ein Leichtes gewesen, die Zeitungsgeschichte wahrheitsgemäß abzustreiten und richtigzustellen. Aber er hatte nicht die geringste Absicht, das zu tun.
»Wissen Sie, Euer Exzellenz, ich habe mich schon immer gefragt, ob es wirklich der Wunsch meiner Großmutter war oder ob ihr das jemand eingeredet hat. Mein Wunsch war es ganz gewiss nicht. Und meine Mutter kümmert es nicht, was ich mit meinem Leben tue, also bezweifle ich, dass sie es war, die meine Großmutter auf den Gedanken gebracht hat.«
Der Abbate runzelte die Stirn. »Ihre Großmutter wollte Ihnen eine sichere, sorgenfreie Zukunft ermöglichen, und die hätten Sie bekommen, wenn Sie nicht erst den Kardinal in Verlegenheit gebracht hätten und jetzt Duellgeschichten und Soldatentorheiten anzettelten! Hören Sie, Giacomo, es ist noch nicht zu spät. Sie könnten Schlimmeres tun, als Ihrer Großmutter und meinem guten Rat zu folgen. Es wird nicht leicht sein, aber ich werde mich bei Kardinal Acquaviva für Sie verwenden und schwören, dass Sie von nun an in Ihrem Leben eine neue Seite aufschlagen werden.«
Giacomos neue Uniform war weiß, mit einer blauen Weste, goldenen und silbernen Fangschnüren und einer farbgleichen Degenquaste, die zurückglitt, als er seine Beine übereinanderschlug.
»Eine neue Seite habe ich auch im Sinn, Euer Exzellenz. Aber zuerst möchte ich noch ein wenig im Buch der Vergangenheit stöbern. Ich fand es immer ausgesprochen großzügig von Ihnen und … Ihrer Familie …, Interesse an einer Komödiantin zu zeigen, der Witwe eines Komödianten, und an ihren Kindern. Wohingegen Sie einem Geschlecht entstammen, das im Goldenen Buch der Stadt zu finden ist und Dogen gestellt hat. Gerade wieder stellt. Verzeihung. Beinahe hätte ich Ihren gerade regierenden Onkel übersehen. Wie kamen wir zu dieser großen Ehre?«
»Weil mein Bruder ein Gönner des Theaters San Samuele ist«, sagte der Abbate ungeduldig, »das wissen Sie doch.«
»Ja, das weiß ich. Deswegen, und weil die Welt schlecht ist, haben meine Geschwister und ich uns so manches Mal gefragt, ob er nicht einem von uns ins Leben verholfen hat.«
Mit Interesse beobachtete er, wie das Gesicht des Abbate sich verfärbte.
»Mein Bruder ist ein Senator von Venedig. Dergleichen wäre eine grobe Verleumdung.«
»Da alle Senatoren von Venedig, die ich bisher kennengelernt habe, sich kostspieligere und jüngere Mätressen leisten können als eine Mutter von fünf Kindern, die selbst ihren Lebensunterhalt verdient, gebe ich Ihnen recht. Beruhigen Sie sich, Exzellenz. Ich glaube nicht länger, dass Ihr Bruder mein
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