Verfuehrung
Vater oder der einer meiner Brüder oder Schwestern war.«
»Warum dann dieses geschmacklose Thema?«, donnerte der Abbate.
»Jüngere Brüder von Senatoren, die vom Familienschatz nur ein Kirchenamt abbekommen haben, und noch nicht einmal einen Bischofshut, geschweige denn ein Kardinaliat, sondern nur den Titel eines Abbate, diese jüngeren Brüder dagegen dürften in ihrer Mätressenauswahl schon eingeschränkter sein. Und uneheliche Kinder zu versorgen ist für sie erheblich schwerer.«
Der Abbate Grimani, der schon Anstalten gemacht hatte, empört mit der Faust auf den Tisch zu klopfen, hinter dem er saß, sank auf seinen gepolsterten Sessel zurück. Es war seltsam: Bis zu diesem Moment hatte Giacomo nicht wirklich an seine Theorie geglaubt. Er war in Gedanken öfter verschiedene Möglichkeiten durchgegangen, aber Gaetano Casanova, der Mann, der sich in eine Schauspielerin vernarrt und zum Theater fortgelaufen war, obwohl er nie mehr als ein mittelmäßiger Schauspieler sein konnte, war der Mann gewesen, dem seine kindliche Liebe gegolten hatte, auch wenn er sich inzwischen kaum mehr an ihn erinnern konnte. Für den Abbate hatte er nie mehr als Aufsässigkeit übrig gehabt. Auf diese Weise jetzt Gewissheit zu bekommen war ein bitterer Sieg, weil ein Teil von ihm das Gegenteil gehofft hatte.
»Ich habe mich immer bemüht, Ihnen ein gutes Leben zu verschaffen«, sagte der Abbate tonlos.
»Und ich bin dankbar«, gab Giacomo kühl zurück. »Aber meine Kindheit ist doch wohl endgültig vorbei, und das Leben, das ich gewählt habe, kann nicht das Ihre sein. Ich spreche nicht aus Trotz, sondern aus Erfahrung. Ich habe es versucht.«
»Hast du das?«, fragte der Abbate und fiel in das Du und den alten, ungeduldigen Tonfall zurück. »Ich hatte nicht den Eindruck, dass du je etwas anderes versucht hast, als dein Leben zu genießen, mein Junge.«
»›Wer nicht genießt, wird ungenießbar ‹, so heißt es doch, und es gibt Schlimmeres, das man mit seinem Leben tun kann.« Heuchelei zum Beispiel, fügte Giacomo schweigend hinzu. Vielleicht las es der Abbate an seinen Augen ab, denn der Priester stürzte sich in das Feuer rechtschaffener Empörung.
»Wie einen Mann im Duell zu töten?«, fragte er scharf. »Ist das ein Leben, wie du es führen willst, Giacomo?«
Wenn tatsächlich ein Duell stattgefunden hätte, dann wäre das, rhetorisch gesehen, ein guter Gegenschlag gewesen. So verpuffte er im Nichts, was der Abbate jedoch nicht wissen konnte. Außerdem bezweifelte Giacomo, dass der Abbate Grimani die Wochen, die er mit einem Kastraten verbracht hatte, der in Wirklichkeit eine Frau war, als etwas Besseres ansehen würde, und genau deswegen würden sie einander nie verstehen.
»Seltsam«, sagte er laut. »Als Jungen hat man uns immer erzählt, meinen Brüdern und mir, dass man einen Mann von Adel daran erkenne, dass er bereit sei, für seine Ehre zu sterben.«
»Du erwartest doch nicht, dass wir einen Adligen bezahlen, der dich adoptiert. Ich verachte jeden, der versucht, sich in den Adel einzukaufen, das solltest du wissen.«
»Mit gutem Grund, aber wie halten Sie es mit denen, die ihn verkaufen?«
»Davon verstehst du nichts«, kam die Antwort, die immer kam, wenn sein Vormund keine logische Erklärung hatte. »Du bist kein Mann von Adel«, sagte der Abbate schneidend, nun wieder vollständig im Besitz seiner alten Überlegenheit. »Du bist der Sohn einer Schauspielerin.«
Und so würde es für immer bleiben, dachte Giacomo, in Venedig, der Königin aller Städte, von einer Schönheit, die selbst ihren Kindern den Atem nahm, jedes Mal, wenn er zu ihr zurückkehrte. Der Sohn einer Komödiantin, und kein Mann von Adel, in einer Welt, in der Komödianten nun einmal Unterhaltung waren, und Bürger, Händler wie Kurtisanen, die Steuern zahlten, aber der Adel regierte. Für immer und ewig.
Er musste von hier fort.
Aber zuerst galt es noch, seiner ersten Liebe seinen Dank zu zeigen, indem er ihr ein neues Leben ermöglichte.
»Der Sohn einer Schauspielerin, der noch eine kirchliche Angelegenheit regeln möchte, ehe er für immer in den Laienstand zurückkehrt, mit der gütigen Hilfe seines Vormunds.«
»Du hast doch keine höheren Weihen empfangen, die ein kirchliches Prozedere nötig machen würden, ehe du Laie wirst«, stellte der Abbate fest.
»Es geht nicht um mich«, entgegnete Giacomo und umriss Bettinas Fall.
»Nun, Gozzi ist ein gottesfürchtiger Christ und guter Priester, dem ich wohlwill. Aber
Weitere Kostenlose Bücher