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Verfuehrung

Verfuehrung

Titel: Verfuehrung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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wüsste er, was sie dachte, verschattete sich seine Miene.
    »Die Erste Sängerin«, sagte er, »ist der natürliche Feind des Ersten Sängers, weil sie beide um die Gunst des Publikums werben, selbst, wenn sie Liebende spielen.«
    »Hast du mir nicht einmal gesagt, alle Gegner seien Lehrer, die uns nichts kosten?«
    »Ja«, entgegnete er, ohne auf ihren scherzhaften Ton einzugehen, »aber deswegen bleiben sie immer noch Gegner.«
    »Ich würde nie deine Feindin sein wollen«, versicherte sie hastig. »Ich möchte wie du sein.«
    »Nein«, sagte er unerwartet kalt, »das willst du nicht, und das kannst du nicht. Du wirst heiraten und ein Kind nach dem anderen zur Welt bringen, wie die Natur es für dich eingerichtet hat.«
    »Wenn du ich sein könntest, würdest du so etwas auch nicht wollen«, sagte sie anklagend. »Du wolltest nie mehr Giuseppa Appiani sein, wenn du der große Appianino sein könntest, nur um Kinder statt Musik um dich zu haben.«
    »Das werde ich nie mit Sicherheit wissen, weil ich diese Wahl nie hatte«, sagte er und weigerte sich, weiter darüber zu sprechen. Doch in dieser Nacht war er wohl zornig genug, um zum ersten Mal etwas von ihr zu fordern, etwas, das über Küsse und Umarmungen hinausging. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie ihn nie völlig nackt gesehen oder gespürt; nur seinen Oberkörper. Nun zog er auch seine Hosen aus. Sie starrte auf sein Glied, das frei von Haar war, während ihre eigene Scham mittlerweile von dichtem Flaum bedeckt war. Angiola hatte Hunde sich auf der Straße paaren sehen; sie wusste, wie ein männliches Geschlechtsteil bei einem Tier aussah. Aber einen Mann, diesen Mann so zu sehen, war trotzdem Schrecken und Faszination zugleich.
    »Das wollen sie als Erstes sehen«, sagte er leise und scharf. »Die Damen, die Herren. Den Kern des Monstrums. Wie groß, wie klein. Sind denn nun noch Hoden da oder nicht? Kann man ihn noch in die Höhe treiben oder nicht?« Die Bitterkeit, die mit jedem Wort mehr in seiner Stimme brannte, gleich einer Säure, die bisher in einem sicheren Gefäß bewahrt worden war und sich nun durch die schöne Hülle fraß. Wie lange hatte das, was da aus Appianino herausbrach, in ihm gebrodelt, ohne sich je Luft machen zu dürfen? »Du steigst zu ihnen in die Kutsche«, fuhr er fort, »und manchmal greifen sie dir schon zwischen die Beine, ehe du dich gesetzt hast. Und damit würdest du tauschen wollen? Du kleine Närrin! Dann nimm es in die Hand, genau wie sie es tun. Jetzt gleich.«
    Es erinnerte sie daran, wie sie sich als Kind die Knie aufgeschlagen und ihre Mutter wütend angezischt hatte, während diese die Wunde auswusch und verband, denn wenn Angiola zugegeben hätte, wie weh es tat, dann hätte sie weinen müssen. Ihre Mutter hatte sie trotzdem durchschaut und einen Kuss auf ihr Knie gedrückt, als der Verband fertig war.
    Angiola nahm das Glied nicht in die Hand. Stattdessen kniete sie nieder, nahm ihren Mut zusammen und presste einen Kuss darauf. Sie spürte, wie Appianino zitterte.
    »Es tut mir leid«, sagte er mit gebrochener Stimme und zog sie zu sich empor. »Meine Liebste, es tut mir so leid.«
    * * *
    Lucia Calori erwartete den Heiratsantrag Faliers täglich, fast stündlich, hatte sich ein halbes Dutzend Antworten zurechtgelegt, die von gelassen und würdevoll bis zu freudig und dankbar reichten, und hatte sie so oft geprobt, dass sie bereits zur Hälfte die vorbereitete Erwiderung gegeben hatte, ehe ihr ins Bewusstsein drang, was der Professor wirklich gesagt hatte.
    »… eine Freude und …« Ihre Stimme verklang abrupt. »Ich – verzeihen Sie, liebster Freund – es kam so überraschend – können Sie bitte noch einmal wiederholen, damit ich sicher bin, Sie nicht missverstanden zu haben …«
    »Ich möchte Sie um die Hand Ihrer Tochter Angiola bitten, liebste Freundin«, sagte Falier ruhig und mit der größten Selbstverständlichkeit. Lucias Mund wölbte sich zu einem stummen O, während sie innerlich verzweifelt flehte, aus diesem Alptraum zu erwachen.
    »Ein liebreizendes Mädchen und schüchtern, wie sich das für eine Jungfrau geziemt«, sagte Falier. »Wenn ich nur daran denke, wie sie mich kaum ihre Hand berühren ließ! Sie haben Ihr Kind wirklich gut erzogen, teuerste Freundin. Ganz, wie es sich gehört. Natürlich, das versteht sich, werde ich auch Ihnen ein Heim bieten.« Er zwinkerte ihr zu. »Wir werden als glückliche Familie unter einem Dach leben.«
    Das Schlimmste war, dachte Lucia verzweifelt,

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