Verfuehrung
seine Stimme sei ihm sein Leben. Wenn sie ihm Schaden zufügte, wo es um die Musik ging, dann würde sie etwas Heiliges zwischen ihnen beiden zerstören.
Dann wieder stellte sie sich vor, ohne ihn und die Musik leben zu müssen, und auch das brach ihr das Herz.
Sie war so unglücklich, dass sie nicht merkte, dass ihre Mutter bereits eine geraume Weile mit dem Mittagsmahl fertig war und trotzdem keine Anstalten machte, den Tisch aufzuheben. Erst, als Lucia sich räusperte, hob Angiola den Kopf und sah, dass ihre Mutter sie stumm betrachtete. Am Vortag hatte Professore Falier ein weiteres Mal in ihrem Haus seine Aufwartung gemacht, und wenn Angiola es recht bedachte, dann war ihre Mutter seither sehr still gewesen.
»Was ist Ihnen, Mama?«
Lucia räusperte sich ein weiteres Mal, und Angiola schloss mit sinkendem Herzen, dass der Professor sich wohl endlich erklärt haben musste.
»Du weißt, dass ich immer nur dein Bestes will, mein Schatz.«
»Gewiss«, sagte Angiola, ohne zu zögern, und entschied, dass dieser Tag eindeutig dem Unglück geweiht war. Appianino würde Bologna verlassen, und sie erhielt Falier als Stiefvater. Nun, zumindest konnte nichts Schlimmeres mehr passieren.
»Professore Falier hat um deine Hand angehalten.«
Der offenkundige Versprecher war so absurd, dass Angiola aus ihrer schlechten Stimmung herausgerissen wurde und lachte. Das Gesicht ihrer Mutter verzog sich, und Angiola prustete noch einmal.
»Um Ihre Hand, Mama, das weiß ich schon, aber Sie müssen zugeben, dass es komisch war, wie Sie sich gerade versprochen haben. Nun, es …«
»Professore Falier«, wiederholte ihre Mutter in einem schärferen Tonfall und unmissverständlich, »hat um deine Hand angehalten.«
Die Empörung und das Mitleid mit ihrer Mutter, welches Angiola erfasste, erstickten sie beinahe. Sie sprang auf, lief um den Tisch herum und umarmte ihre Mutter heftig.
»Er war Ihrer nie würdig, Mama.«
»Ich habe ihm zu verstehen gegeben, dass du gerne die Seine werden wirst«, sagte Lucia steinern.
Das konnte nur ein böser Scherz sein. Aber ihre Mutter scherzte nicht auf diese Art. Ihr Humor war nie bösartig gewesen. Natürlich hatte Angiola erwartet, irgendwann mit einem gesetzten Bürger verheiratet zu werden, genau wie das bei ihrem Vater und ihrer Mutter gewesen war. Doch Falier hatte ihrer Mutter nicht nur den Hof gemacht, er hatte sich auch in den Genuss ihres Körpers versetzt, das wusste Angiola nur zu genau. Damit war es völlig unmöglich geworden, dass dieser Mann in Angiola etwas anderes als die Stieftochter sah, gewiss war es so. Nur hegte er offenbar völlig andere Gedanken. Hatte sie wohl schon gehegt, als sie damals gemeinsam in der Oper gewesen waren, während er mit einer Hand ihre Mutter liebkost hatte.
Angiola wurde schlecht.
Sie blickte zu ihrer Mutter und verstand nicht, wie Lucia auf ein solches Ansinnen eingehen konnte. Musste sie Falier nicht hassen? Wie konnte sie wollen, ihre Tochter ihrem eigenen Verehrer ins Bett zu legen? Gewiss, sie waren nicht reich, aber es musste andere Männer als Professore Falier geben.
»Du weißt, dass ich nur dein Bestes will«, wiederholte Lucia. »Und ich hoffe doch, dass auch du nur das Beste für mich wünschst.«
»Wie kann es Ihr Bestes sein, dabei zuzusehen, wie der Mann, den Sie lieben, mich heiratet?«, brach es aus Angiola heraus. Die Wangen ihrer Mutter röteten sich, und sie schaute Angiola nicht in die Augen, als sie antwortete.
»Auch er will nur dein Bestes«, sagte sie hastig. »Und es macht mich glücklich, dich in guten Händen zu wissen.«
Es klang edel und selbstlos, aber genauso hatte die Mutter geklungen, wenn sie Angiolas Vater versicherte, sie habe sich kein teures neues Spitzenhemd schneidern lassen, obwohl die Rechnung vom Schneider noch vor Ende des Monats ins Haus flattern würde. Ihre Mutter log, und das machte alles noch verstörender, denn Angiola konnte sich nicht vorstellen, was sonst der Grund dafür sein konnte, dass Lucia den Professor nicht umgehend abgewiesen hatte.
»Wenn du deine Überraschung erst verwunden hast, mein Liebling«, sagte Lucia sanft, »dann wirst du sehen, dass letztendlich eine solche Partie ein Glück für dich ist. Professore Falier ist willens, zu übersehen, dass du keine nennenswerte Mitgift haben wirst, und wenn mich nicht alles täuscht, dann wird er sogar so großzügig sein, deine Aussteuer zu bezahlen. Du wirst eine wunderschöne Braut sein, bestimmt.«
Wenn sie jetzt den Mund
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