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Verfuehrung

Verfuehrung

Titel: Verfuehrung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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könnte jetzt bereits im Bett liegen, ohne weitere Sorgen als die, ob die Flohstiche, die er sich hier in Venedig eingefangen hat, schlimmer sind als die aus Mailand. Dann stellt er sich vor, Angiola bliebe verschwunden, gerade jetzt, wo er sich daran gewöhnt hat, eine überlebende Tochter zu haben, und obwohl der Tod der meisten Kinder, die auf dieser Welt geboren werden, Gottes Wille ist, trifft ihn die Vorstellung unerwartet heftig. Als ein maskierter Galan es wagt, der weinenden Lucia ein Taschentuch anzubieten, nutzt Calori das, um seiner schlechten Stimmung Ausdruck zu verleihen, und zwar durch einen heftigen Stoß gegen die Brust des Frechlings.
    »Halte dich von anständigen Frauen fern, Bube!«
    Leider handelt es sich bei der Maske um einen kräftigen Mann und bei Calori um einen gesetzten Beamten von zweiundvierzig Jahren mit einem kleinen Bäuchlein, der gewohnt ist, Papiere zu bewegen, keine schweren Sachen, so dass die Angelegenheit nicht gut für ihn ausgehen kann. Der Mann stößt ihn ebenfalls, Calori wankt, stürzt zu Boden, und der Frechling sowie alle Umstehenden brechen in Gelächter aus.
    »Heilige Mutter Anna, heiliger Josef«, schluchzt Lucia, während alles in Calori rast und brennt.
    »Papa?«, piepst eine Stimme, und da steht sie, seine Tochter, mit einem Bengel an ihrer Seite. Calori ist zu erbittert, um erleichtert zu sein, und rappelt sich auf, wütend die helfenden Hände seiner Frau abwehrend.
    »Der Junge hat Nasenbluten«, sagt Angiola, und in der Tat, Blut tropft aus der Nase des neben ihr stehenden Bengels. »Das war ich nicht«, fügt sie hastig hinzu, wohl wegen Caloris düsterer Miene. »Die hat ganz von allein das Bluten angefangen.«
    Der Junge bleibt stumm. Er hält nun eine Hand auf, wohl, um eine Belohnung zu empfangen. Als Calori grimmig nach seiner Börse tastet, stellt sich heraus, dass sie verschwunden ist. Genau wie der maskierte Mann, der erst Lucia ein Taschentuch angeboten und ihn dann zu Boden gestoßen hat.
    Gott will Calori heute wirklich etwas über Theaterbesuche sagen, da ist er sich nun sicher.
    »Dass ich dich wiederhabe, mein Schatz«, ruft Lucia aus, während Calori noch vergeblich auf dem Boden sucht, ob vielleicht irgendwo der Geldbeutel liegen könnte. Sie umarmt Angiola, die sich das Taschentuch schnappt, das ihre Mutter noch immer wie vergessen in der linken Hand hält, und es dem Jungen gegen die Nase drückt.
    »Leg den Kopf zurück, dann wird es besser«, sagt sie dabei, und unter anderen Umständen wäre Calori ein wenig stolz, denn gerade dies hat er selbst erst vor zwei Tagen seinem Erbonkel beim nämlichen Leiden geraten. Offenbar hatte ihn seine kleine Tochter genau beobachtet und zugehört. Aber an diesem Unglücksabend ist er nicht in der Stimmung für väterlichen Stolz. Er will nur noch fort von hier, ehe sich weitere Katastrophen ereignen, und presst diese Worte heraus, während er Lucia und Angiola am Arm ergreift.
    Der Junge macht eine enttäuschte Miene, und Calori richtet sich auf lautstarken Protest ein, wie der von allen anderen, die meinten, das Trinkgeld, das er hier im Theater gegeben hatte, habe nicht ausgereicht, aber der Kleine sagt nichts. Am Ende ist das Kind stumm. Nun, ihm kann es gleich sein. Calori drängt seine kleine Familie in Richtung Ausgang.
    »Wie heißt du?«, ruft Angiola und zieht in die andere Richtung, als habe sie heute noch nicht genug mit ihrem Eigenwillen angerichtet. Der Junge erwidert nichts, sondern grinst und macht mit immer noch tropfender Nase und blutbeflecktem Taschentuch eine Verbeugung.
    »Das ist Zanettas Ältester«, sagt ein Limonadenverkäufer, der zwischen den Spieltischen im Foyer hin und her eilt. »Ein Schwachkopf, der den Mund nicht aufkriegt.« Und an den Jungen gerichtet, fügt er hinzu: »Du solltest doch Wachs für die Ohren deines Vaters holen, Giacomo, was tust du noch hier?«
    Der Junge zuckt die Achseln, dreht sich um und verschwindet in Richtung Treppenaufgang. Angiola ruft ihm »Addio, Giacomo« hinterher und lässt sich endlich mit ihrer Mutter aus dem Theater drängen.
    Das, schwört sich Calori, war das letzte Mal, dass er und seine Familie ihre Zeit auch nur in der Nähe einer Bühne verbracht haben.

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I
    Angiola
    D er jüdische Bezirk lag nicht weit vom Universitätsviertel

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