Verfuehrung
Geschlechter im Goldenen Buch der Stadt ihren Anfang bei den Bastarden von Priestern nahm, die nicht anerkannt werden konnten. Und in Rom ist es ganz bestimmt nicht anders.«
Sie riss die Augen auf. »Haben Sie uns nicht berichtet, dass man in Rom nur Männer liebt?«
Petronio, der gerade Zypernwein nachschenkte, verschluckte sich und goss um eine Haaresbreite den Wein neben das Glas.
»Ich habe auch gesagt, dass zu jeder Regel Ausnahmen existieren«, entgegnete der Venezianer ruhig.
»Wie könnte ich das vergessen. Aber sagen Sie, war es wirklich Ihr eigener Wunsch, Abbate zu werden?«
»Als Kind wollte ich einmal Arzt werden, weil mein Vater wegen eines Pfuschers vorzeitig gehen musste, aber das ist Jahre und andere Berufswünsche her«, sagte er, was keine direkte Antwort auf ihre Frage war, und erst jetzt fiel ihr auf, dass er das Gespräch damit auch erfolgreich von seinen Eltern weggelenkt hatte, ohne verraten zu haben, welchen Standes sie eigentlich waren. Er mochte sich den Anschein geben, als hätte er nichts als sein Vergnügen im Kopf, und vielleicht war das auch das Wichtigste für ihn, aber sie durfte nicht den Fehler begehen, ihn deswegen für dumm oder leicht lenkbar zu halten.
»Und Sie, Bellino«, fragte nun er, »war es wirklich Ihr eigener Wunsch … Kastrat zu werden?«
Das war ein mehr als geschickter Hieb, und natürlich war es ihr unmöglich, die Frage ehrlich zu beantworten. Für einen Moment fragte sie sich, was eigentlich ihre ehrliche Antwort wäre. Natürlich hatte sie wie Appianino sein und mit ihm leben wollen. Aber ihr Körper war der einer Frau, und so hatte sie keinen Teil dieses Körpers aufgeben müssen, um als Erwachsene so zu singen wie ein besonders begabter Knabe, was doch einen Kastraten ausmachte. Es war nicht dasselbe.
Sie erinnerte sich daran, was ihr Appianino erzählt hatte, von dem Trog mit heißem Wasser, von seinen Brüdern und seinem Vater, die ihn festgehalten hatten. Der tote Junge, der vor ihr ihren Namen getragen hatte, musste auch durch all das gegangen sein.
»Es war mein ureigenster Wunsch, zu singen«, gab sie zurück, was ebenso eine Antwort und doch keine Antwort war, genau wie seine eigene Entgegnung. Er hob sein Glas und prostete ihr zu.
»Aber was sind denn das für trübsinnige Gespräche«, mischte sich Mama Lanti tadelnd ein, die ganz gewiss keinen Wert darauf legte, an die Umstände zu denken, unter denen ihr ältester Sohn Kastrat geworden war. »Signore Abbate, haben Sie je Pfand gespielt?«
»Und ob. Ich lebe fürs Pfandspiel, könnte man sagen.«
»Oder vom Pfänden?«, rutschte es Bellino heraus, aber sie sagte es nicht laut genug, als dass er darauf etwas hätte erwidern müssen. Außerdem saß sie selbst im Glashaus, gemessen an der Art, wie sie heute Morgen ihre Kostüme versetzt hatte.
»In Venedig«, sagte er und fixierte sie, »pfänden wir aber keine Taschentücher oder Schnupftabakdosen. Das ist langweilig. In Venedig pfänden wir Küsse.«
»Das klingt famos«, sagte Marina prompt, und Cecilia klatschte begeistert in die Hände.
»Aber Signore Abbate«, sagte Bellino so geknickt wie möglich, »angesichts dessen, was Sie erst vor ein paar Stunden zu Petronio gesagt haben, müssen mein Bruder und ich uns jetzt ausgeschlossen vorkommen, wenn wir unseren Gast nicht in den Zustand versetzen wollen, ein Pfand anzunehmen, zu dem er keine Neigung verspürt.«
Er protestierte nicht noch einmal, sie sei ein Mädchen. Stattdessen fragte er sofort zurück: »Sind Sie denn so sicher, dass Sie verlieren, Bellino?«
»Ganz und gar nicht!«
Petronio schenkte ihr Wein nach, beugte sich dabei vor und flüsterte ihr ins Ohr: »Ich habe dich noch nie so erlebt. Pass auf.«
Beim Pfänderspiel, wie es Bellino kannte, musste man einen Begriff erraten, und falls man das nicht konnte, ein Pfand geben. So, wie es an diesem Tag gespielt wurde, war es mehr oder weniger eine Entschuldigung für Cecilia und Marina, sich küssen zu lassen. Sie gaben sich nicht die geringste Mühe, irgendetwas zu erraten. Im Gegenteil. Dass Casanova bei jedem der Küsse das jeweilige Mädchen mit dem Rücken zu ihr drehte und Bellino dabei anschaute, machte es für Bellino zudem nicht angenehmer. Sie wünschte sich, Don Sancho wäre bereits zurückgekehrt, dann hätte sie mit ihm plaudern und so ihre Gleichgültigkeit gegenüber diesem kindischen Versuch, ihre Eifersucht zu erregen, demonstrieren können. Ehe die Reihe an Bellino kam, trat der Wirt mit einem Brief
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