Verfuehrung
Ausschnitt ihres Spitzenjabots wandern und verfolgte damit den Ansatz ihrer Brüste, deren Spitzen sich aufrichteten. »Bellino«, flüsterte er ihr ins Ohr, während sich ihr Pulsschlag gegen ihren Willen beschleunigte, »an der beispiellosen Schönheit ihrer Brüste, die seufzen, weil sie in ein so enges Gefängnis eingesperrt sind, sich vergrößern, weil sie gestreichelt werden, erkenne ich zweifellos, dass Sie ein vollendet schönes Weib sind!«
»Dies ist ein Mangel, den ich mit allen meinesgleichen teile«, gab sie zurück und konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme, der sie sonst jeden Klang abgewann, den sie wollte, ein wenig heiser wurde. Seit Appianino hatte es Anbeter und Küsse gegeben, gelegentlich auch Griffe wie den der Contessa aus Pesaro, aber niemand hatte sie so gestreichelt. Niemandem hätte sie es gestattet. Was hatte sie sich nur dabei gedacht!
»Nein, es ist die höchste Vollkommenheit aller Ihresgleichen. Bellino, glauben Sie mir, ich bin Kenner genug, um den hässlichen Busen eines Kastraten von dem einer schönen Frau unterscheiden zu können, und …«
Sie machte sich mit einem Ruck von ihm los. »Wie wollen Sie da Kenner sein«, sagte sie heftig, »ohne auch nur mit einem Kastraten geschlafen zu haben, wozu Sie doch angeblich keine Neigung besitzen? Der Begriff, den Sie verkörpern, liegt auf der Hand: Es ist ein Satyr!«
Damit drehte sie sich um und verließ das Zimmer; sie war mittlerweile oft genug auf der Bühne gestanden, um den Moment für einen wirksamen Abgang zu erkennen und nicht zu verpassen.
In Ancona gab es nichts Vergleichbares zu Bolognas Arkaden, doch genügend Möglichkeiten, ausgiebige Spaziergänge zu unternehmen, und nun, da der Regen wieder aufgehört hatte, schien ihr das eine gute Möglichkeit, gleichzeitig ihre Gesangsübungen zu machen und sich dabei körperlich zu erschöpfen. Unter anderen Umständen hätte sie Petronio mitgenommen, doch solange er als Lohndiener verpflichtet war, ging das nicht. Sie musste alleine gehen und darauf hoffen, dass singende Kastraten eher Verehrer als Diebe anzogen.
Leider ließen sich der angeberische Venezianer und seine streichelnden Hände auch durch Gewaltmärsche und langgezogene Vokale nicht einfach beiseiteschieben. Sie verstand nicht, warum ihre Konzentration sie hier im Stich ließ; Musik nahm ihre Aufmerksamkeit sonst immer völlig in Anspruch. Der Mann war eindeutig schlecht für sie, dachte Bellino wütend, und sie verstand nicht, weswegen. Es war schließlich nicht so, dass irgendetwas an ihm eindrucksvoll war. Zugegeben, er sah gut aus, doch das traf auf Dutzende Gecken zu, die ihr den Hof gemacht hatten. Und er war schlagfertig, schön und hatte Sinn für Humor, der durchaus auch auf seine eigenen Kosten gehen konnte; das hob ihn immerhin unter besagten Gecken deutlich hervor. Vergleichen mit einem echten Talent, wie Appianinos Stimme, ließ es sich trotzdem nicht. Appianino war es wert gewesen, sich in ihn zu verlieben; jede Frau, jeder Mann von Gefühl und Verstand hätte dasselbe getan. Umgekehrt hatte Appianino sie auch geliebt, dessen war sie sich immer noch sicher, ganz gleich, was Petronio vor der Nachricht von Appianinos Tod über Langeweile und Zeitvertreib gesagt hatte. Appianino hatte in ihr etwas gesehen, was er nicht in jedem anderen beliebigen Mädchen in der gleichen Lage gesehen hatte. Es war auch nicht so, dass er trotz seiner Beliebtheit alleine gewesen war und das erste beste Wesen ausnutzte, für das er kein apartes Spielzeug, sondern ein Meister war. So war es nicht: Appianino hatte sie geliebt, und sie würde nie einen anderen lieben. Basta. Dieser Giacomo Casanova aus Venedig dagegen bewies ja gerade mit ihren Schwestern, dass es ihm genügte, wenn ein Wesen weiblich war, um hinter ihm her zu sein. Ein Mann, der da verkehrte, wo kein Widerstand zu ewarten war, sollte sich nun wirklich nicht für unwiderstehlich halten, da kam unausstehlich der Wahrheit schon deutlich näher. Er konnte sich auch gar nicht ernsthaft verlieben mit so einer Einstellung. Weil er viel zu selbstsicher und stolz auf seine Männlichkeit und Verführungskräfte war und es verdiente, herauszufinden, dass er sich auf beides nicht immer verlassen konnte, war der einzige Grund, sich mit ihm abzugeben. Nur deswegen.
Eine Kutsche rollte an ihr vorbei, und sie wich gerade noch rechtzeitig aus. Zu ihrer Überraschung rief eine weibliche Stimme: »Halt, halt!«, und die Kutsche kam ein Stück vor ihr zum Stehen.
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