Verfuehrung
Sancho will doch morgen Abend wiederkommen. Selbst, wenn du dem Abbate kein Geld zutraust, Don Sancho hat doch bestimmt welches, dieser alte Kerl.«
»Hoffe auf alle, vertraue niemandem, und zahle deine Rechnungen selbst, ehe der Wirt dir die Behörden auf den Hals hetzt«, sagte Bellino und drückte Marina den Korb mit den Kostümen in den Arm.
»Der ist aber schwer!«
»Natürlich ist er schwer. Aber erstens werden wir ihn zu zweit tragen, und zweitens erzählst du immer, du seist kräftiger als Cecilia, obwohl sie die Ältere ist.«
»Aber Petronio kann doch …«
»Petronio muss sich zur Verfügung halten, schließlich hat ihn der Abbate als Diener angestellt. Da kann er keine Ausflüge mit uns unternehmen. Avanti!«
»Du bist gemein«, wiederholte Marina noch einmal, dann gab sie nach und begleitete Bellino mit den Kostümen zum Pfandleiher. Wie zu erwarten gewesen war, bekamen sie längst keinen so guten Preis wie den, welchen Bellino ursprünglich bezahlt hatte, doch es würde genügen, um in Ancona alle Rechnungen zu begleichen, und ließ ihr immer noch ihr Honorar für die Bußmesse.
»Wenn ich einmal einen Gönner gefunden habe«, sagte Marina, »einen wirklich reichen, dann werde ich nie irgendwelche Kostüme zurückgeben müssen. Im Gegenteil, er wird mir immer schöne neue Kleider kaufen. Farinelli singt für den König von Spanien. Kannst du nicht auch einen König auftreiben, Bellino?«
»Farinelli ist vorher überall in Europa aufgetreten, sonst hätte der König von Spanien überhaupt nie von ihm gehört. Der Ruhm kommt zuerst und vor dem Ruhm die Arbeit. In meinem Alter hat Farinelli noch Frauenrollen in Rom gesungen. Engagements zu finden und möglichst überall aufzutreten, das ist es, was zählt, Marina.«
»Du hast aber das Engagement in Bologna abgelehnt, und Signore Melani ist deswegen fuchsteufelswild«, sagte Marina, die manchmal sehr scharfsinnig sein konnte, wenn sie nicht herumalberte. »Und der Abbate, der hat auch nichts mit Auftritten zu tun, aber du hast ihn vorhin dazu bekommen, mit uns auch noch zu Mittag zu essen.«
Bellino nahm sich das Privileg des älteren Bruders und sagte nur geheimnisvoll: »Ich habe meine Gründe.«
Als sie in den Gasthof zurückkehrten, fanden sie Mama Lanti in einem für sie seltenen Zustand moralischen Dilemmas. Einerseits war Mama Lanti dem jungen Venezianer noch mehr gewogen als am Vortag, was damit zusammenhing, dass er ihr nach dem Frühstück seine Aufwartung gemacht und einen Goldquadrupel geschenkt hatte; andererseits hatte er von ihr dafür hören wollen, dass Bellino kein Kastrat, sondern ein verkleidetes Mädchen war.
»Was für ein Unsinn«, sagte Bellino wütend und unterdrückte einen jäh aufflammenden Anflug von Panik. Darauf, dass er ihre Familie bestechen würde, um sie bloßzustellen, wäre sie nie gekommen. Sie biss sich auf die Lippen und fragte sich, ob sie ihn unterschätzt hatte. Hastig schickte sie Marina fort, um nach ihrer Schwester zu sehen, und fragte Mama Lanti, als sie alleine waren: »Du hast doch nicht …«
»Wo denkst du hin? Der müsste mir schon wesentlich mehr bezahlen, als du in deinem ganzen Leben als Kastratensänger noch verdienen kannst, und so viel Geld hat der junge Mann garantiert auch wieder nicht. Aber es ist schon ein Jammer. Die meisten Herren, die so schnell mit der Münze bei der Hand sind, findet man eher in meinem Alter und mit meinem Körperumfang. Außerdem wäre es nur gerecht, wenn er irgendetwas für seine Geldausgaben bekommt.«
Sie hatten noch nie offen über die Art, wie Mama Lanti ihre Kinder darbot, geredet, doch Bellino fand, dass dies der richtige Augenblick war. Sie fasste sich ein Herz und fragte leise: »Hast du deswegen Cecilia und Marina zu ihm geschickt?«
Mama Lanti räusperte sich. »Nun, der junge Mann scheint ein Auge für alles zu haben, was schön ist, und meine Mädchen sind ganz reizend.«
»Mama«, sagte Bellino so behutsam wie möglich, »du liebst deine Kinder. Ich weiß das. Ich würde nie etwas anderes behaupten. Und ich weiß, dass wir alle Geld beitragen müssen. Aber ich verstehe nicht, wie du … Marina und Cecilia sind noch so jung. Willst du sie nicht beschützen? Ein wenig jedenfalls noch?«
Es hatte seine Gründe, warum Mama Lanti keine Pension mehr in Rimini betrieb. Solange es nur Petronio gewesen war, den sie zu ihren Gästen geschickt hatte, kamen von keiner Seite Vorwürfe. Als aber Cecilia anfing, einen Busen zu entwickeln, hatte Melani
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