Verfuehrung
habe«, entgegnete er. Eines musste man ihm lassen, er war schlagfertig.
»Ein guter Ruf kann wiederhergestellt werden, und Sie haben den Lärm von gestern Abend mehr als wettgemacht«, sagte sie daher, ohne lügen zu müssen. »Aber meine Mutter hat mir erzählt, dass Sie mich für eine Lügnerin halten, und das betrübt mich wirklich sehr.«
Er war immer noch nicht verlegen. »Teuerste – teuerster Bellino, das lässt sich doch schnell klären.« Schon wieder verteilte er Münzen unter der Familie Lanti und bat sie ohne Umschweife, ihn mit Bellino allein zu lassen. »Nur kurz«, setzte er hinzu. »Schließlich warten heiße Kastanien auf uns alle.«
Der Einzige, der einen Moment zögerte, war Petronio, doch auch er folgte schließlich den anderen. Es kam ihr in den Sinn, dass keiner von ihnen wissen konnte, ob Giacomo Casanova ein gewalttätiger Mann war. Er kam ihr nicht so vor, aber sie wusste es genauso wenig, wie es die Familie Lanti wissen konnte, die sie doch zu einer der ihren gemacht hatte. Waren ein paar Münzen wirklich alles, was nötig war, um über drei Jahre Miteinander zu vergessen?
Nein, das war ungerecht. Mama Lanti hatte ihr Geheimnis bewahrt, ganz gleich, was Casanova ihr geboten hatte, und was auch immer die Geschwister über sie wussten, oder nicht wussten, keiner von ihnen hatte offenbar dem Venezianer gegenüber von ihr anders denn als Bruder gesprochen.
»Ich weiß nicht, was Sie sich erhoffen, mein Herr«, sagte Bellino, »aber ich kann Ihnen nichts anderes bieten als das, was Sie sehen, wenn Sie in den Spiegel blicken. Ich bin ein Mann wie Sie, wenn man von meiner Operation einmal absieht.«
»Bellino, ich bin überzeugt davon, dass Sie anders gebaut sind als ich. Meine Liebe, Sie sind ein Mädchen!«
»Ich bin Mann und Kastrat. Sie haben doch von meiner Mutter gehört, dass ich untersucht worden bin, ehe ich das erste Mal in einer Kirche auftreten durfte, und auch danach immer wieder.«
»Lassen Sie sich auch von mir untersuchen? Ich gebe Ihnen eine Dublone.«
»Nur um ein Körperteil zu sehen, dessen Anblick Sie zur Genüge kennen und zu dem es Sie angeblich nicht zieht? Mein lieber Signore Abbate, ich glaube, Sie haben gelogen, was Ihre Neigungen betrifft. Mir scheint, Sie suchen nur nach einer Entschuldigung, um sich sagen zu können, dass Sie eine Frau wollen, während Sie sich nach einem Mann sehnen, aber dafür bin ich mir zu schade.«
Sie schritt an ihm vorbei, öffnete die Tür und rief die Lantis zurück. »Wir haben alles geklärt«, sagte sie strahlend. »Zeit für die Kastanien!«
»Hexe«, flüsterte ihr Casanova zu, aber er protestierte nicht, sondern begann stattdessen wieder damit, Marina und Cecilia zu necken, indem er ihnen die Kastanien zwischen die Lippen schob und sie bei jedem Stück bat, diese abzulecken, weil angeblich immer ein kleiner Rest auf dem so schwungvoll geformten zartroten Eingang klebte und beschrieb, was sie ihm zu sehen boten, mit ernsten und durchaus sachkundigen Worten, was Zunge und Lippen betraf. So revanchierte er sich für die erhaltene Abfuhr.
Doch der Zypernwein war wirklich köstlich und passte genau dazu. Da es schon wieder begonnen hatte zu regnen, war es ein mehr als angenehmes Gefühl, im Warmen zu sitzen und sich den Magen zu füllen.
»Wie sind Sie zum Dienst in der Kirche gekommen, Signore Abbate?«, fragte Bellino, halb, weil sie es wirklich wissen wollte, und halb, weil sie ihm immer noch nicht glaubte, dass er überhaupt in kirchlichen Diensten stand, und darauf wartete, dass er sich in eine Lüge verstrickte. Wenn er darauf bestand, in ihr eine Lügnerin zu sehen, dann konnte sie ihm diesen Gefallen erwidern, und sie freute sich darauf, dabei erfolgreicher zu sein. »Haben Ihre Eltern Sie etwa dazu bestimmt?«
»Meine Großmutter. Mein Vater starb, ehe er mich überhaupt zu etwas bestimmen konnte, und meine Mutter … reist viel.«
Sie erinnerte sich an die Frau mit ihrem glitzernden Kostüm, die alle Blicke auf sich gezogen hatte.
»Und in die Fußstapfen Ihrer Eltern wollten Sie nicht treten?«
»Eine gute Frage«, sagte Casanova mit ausdrucksloser Miene. »Sie setzt voraus, dass meine Eltern nicht Teil des Klerus sind. Wie können Sie da sicher sein, Bellino?«
Weil Angiola Calori wusste, dass sie Komödianten waren, aber das konnte Bellino ihm nicht sagen.
»Da gibt es bei uns in Venedig die tragischsten Geschichten«, fuhr er fort, sich für sein Thema erwärmend. »Es heißt, dass ein Viertel der großen
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