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Verfuehrung

Verfuehrung

Titel: Verfuehrung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Bellino ging ein paar Schritte weiter und erkannte den Kopf, der sich ihr durch das Kutschenfenster entgegenstreckte. Es handelte sich um die Contessa aus Pesaro, mit der sie während des Karnevals getanzt hatte und die ihr ein Engagement nach dem Osterfest versprochen hatte.
    »Bellino«, sagte die Contessa erfreut, »dass ich Sie noch einmal treffe! Obwohl ich Sie tadeln muss, Sie Böser. Ich sagte Ihnen doch, dass ich die Stadt gleich nach dem Karneval wieder verlasse. Da hätte ich geglaubt, dass Sie bei mir vorsprächen, um sich von mir zu verabschieden.« Sie klopfte einladend neben sich. »Nun begleiten Sie mich doch wenigstens bis zur Stadtgrenze.«
    Warum nicht, dachte Bellino. Die Contessa hatte nicht den geringsten Zweifel, dass es sich bei Bellino um einen Kastraten handelte. Also bestand in Gegenwart der Contessa auch keine Gefahr, sich wie eine Frau zu fühlen. Sie würde wieder ganz Bellino werden, wie Bellino sein sollte: ein Mann. Natürlich wusste sie, dass die Contessa durchaus gewisse Erwartungen hatte, selbst bei einer so kurzen Kutschfahrt, aber das kam ihr gerade recht. Wenn ein Mann zu sein bedeutete, wie Petronio und der fingerfertige Casanova allzeit bereit zu sein, sich dem oder der Nächstbesten an den Hals zu werfen, gut, das konnte sie auch, zumal die Contessa nicht weiter gehen würde, als Bellino es ihr gestattete. Sie würde diejenige sein, welche die Macht hatte, alles zu bestimmen. Und ihr verräterischer Körper würde wieder ihr gehören.
    »Donna Giulia«, erklärte Bellino, nachdem ihr der Name der Contessa gerade noch rechtzeitig eingefallen war, »Sie sehen mich überwältigt.«
    »Noch nicht«, sagte die Contessa lächelnd, während Bellino in die Kutsche kletterte und sich der Dame gegenübersetzte. Donna Giulia war nicht allein; ihre Zofe reiste mit ihr, und natürlich saß ihr Lakai neben dem Kutscher auf dem Kutschbock. Keine große Dame war jemals allein.
    Die Zofe war in Bellinos Alter und starrte zur anderen Seite der Kutsche hinaus. Giulia dagegen war eine Frau, deutlich über dreißig; ihre natürliche Haarfarbe ließ sich höchstens erraten, da sie genau wie während der vergangenen Karnevalstage eine kunstvolle und sehr modische Perücke trug. Ihr dicht gepudertes Gesicht war ein wenig verlebt, doch immer noch sehr hübsch, und zeigte längst nicht die Falten, die eine Frau niederen Standes im gleichen Alter hatte. Auch ihre Figur, die in ihrem gelben und ganz und gar nicht fastenmäßigen Reisekleid gut zur Geltung kam, war die einer Frau, die nie in ihrem Leben ein Kind hatte stillen müssen, obwohl die Contessa einen Sohn und zwei Töchter erwähnt hatte. Bellino dachte an Mama Lantis Worte über Ammen von Ammen, und der Ärger auf sich selbst und Casanova fand eine neue Richtung. Es half ihr, nichts als berechnend zu sein.
    »Donna Giulia, ich habe Sie nicht mehr aufgesucht, weil ich befürchten musste, was eben eingetreten ist: Ihr bloßer Anblick hat mich schwachgemacht.«
    Es dauerte einen Moment, bis Bellino bewusst wurde, dass sie diesen Satz in einem leicht venezianischen Akzent gesprochen hatte und Casanovas Tonfall imitierte. Nun, warum nicht? Sie hatte immer gerne Menschen imitiert, auch, als sie noch Angiola gewesen war. Früher einmal hatte sie sich gewünscht, Appianino zu sein. Sie wünschte sich keineswegs, Casanova zu sein, aber sie konnte es, was nur bewies, wie alltäglich er war. Casanova für die Contessa sein? Natürlich konnte sie das.
    Sie ergriff die Hand der Contessa, die ihr erfreut entgegenlächelte, und küsste einen Finger nach dem anderen. Die kleine Zofe neben der Contessa rührte sich nicht und schaute immer noch in die andere Richtung, obwohl die Contessa einen zufrieden klingenden kleinen Seufzer ausstieß. Ein Opernbesuch fiel Bellino ein, Angiola, die sich bückte, und auf diese Weise sah, dass Falier seine Hand unter die Röcke ihrer Mutter geschoben hatte. Aber das war Angiola gewesen, und Angiola war tot.
    »Ich habe nicht zu hoffen gewagt …«
    »Aber ich hatte Ihnen doch Grund zur Hoffnung gegeben«, sagte die Contessa. Die Kutsche fuhr über ein Schlagloch, und Bellino ließ ihre Hand los.
    »Meinesgleichen hütet sich, Hoffnungen mit Wirklichkeit zu verwechseln«, sagte sie, und nun war sie nicht Casanova, sondern Appianino, bitter und zu einem schwärmerischen Kind sprechend. Es war geschehen, ehe sie es sich versah.
    »Oh, ich bin ganz und gar wirklich«, murmelte die Contessa. »Und wir haben nicht mehr viel Zeit,

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