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Verfuehrung

Verfuehrung

Titel: Verfuehrung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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akzeptiert hatte, dass sie ein Kastrat war, aber hielt die Bemerkung im letzten Moment zurück. Er würde es ohnehin wieder zurücknehmen. Außerdem hatte sie ihn auf dem Weg zum Hafen zum ersten Mal Giacomo genannt, ohne darauf zu achten, und auch er hatte es nicht triumphierend kommentiert.
    Das türkische Schiff war um einiges größer als das venezianische. Als der Fischer, dessen Ruderboot sie benutzten, nach oben rief, er bringe Besuch zur Besichtigung und möglichem Warenkauf, stellte sich heraus, dass der Eigentümer auch der Kapitän war, ein türkischer Kaufmann aus Saloniki. Zu ihrer großen Überraschung sah sie sogar eine eindeutig weibliche Gestalt neben ihm stehen, die griechische Tracht trug und ihr schwarzes Haar nur mit einem dünnen Schleier bedeckt hielt. Neben Bellino hielt sich Casanova mit einem Mal sehr gerade, und Bellino spürte, wie ihr Misstrauen zurückkehrte. Bei dem venezianischen Schiff hatte sie damit gerechnet, dass er alte Bekannte dort hatte, doch das war nicht der Fall gewesen. In der Türkei war er laut seinen eigenen Behauptungen noch nicht gewesen. Er konnte hier an Bord eigentlich niemanden kennen, geschweige denn gewusst haben, dass sie auf einem türkischen Schiff eine Frau antreffen würden.

Eine Wette war eine Wette, gewiss. Aber es wäre selbstmörderisch, einer Sklavin vor ihrem Eigentümer den Hof zu machen, und hastig flüsterte Bellino genau das Casanova ins Ohr. »Ausreden, Ausreden«, gab er zurück, aber ganz im Gegensatz zu seinem sonstigen Verhalten ließ er mit keinem Zeichen auch nur erkennen, dass er die Frau an der Seite des Türken überhaupt bemerkte, während er den Mann formvollendet begrüßte. Dabei zeigte das weiße Kleid, das nur an den Ärmeln und am Rocksaum bunt bestickt war, dass sie eine gute Figur hatte, und der perlenbesetzte Ledergürtel, den sie trug, betonte die schlanke Taille über den leicht ausladenden Hüften noch. Sie schien Bellino kaum älter als sie selbst zu sein, und sie hätte gerne mehr von ihrem Gesicht gesehen, doch über ihre Augen ließ sich nichts sagen, da sie den Blick fest auf den Boden gerichtet hielt.
    Der türkische Kapitän trug einen grauweißen Bart, doch keinen Turban, den sich Bellino mit ihren nur durch Opern und Geschichten erlangten Kenntnissen immer zu allen Muslimen gedacht hatte. Sein Gesicht war braungebrannt, zerfurcht wie altes Leder. Die Weste war nicht anders als die eines reichen Bologneser Bürgers; nur die Pluderhosen hatten einen durchaus fremdartigen Schritt. Er sprach ein ausgezeichnetes Italienisch, als er anbot, dem »Schützling des Senators Malipiero«, als der sich Casanova vorstellte, die Waren in seiner Kajüte zu zeigen, die er nicht den Markthallen von Ancona habe anvertrauen wollen, weil sie zu ausgesucht und edel wären.
    Wir sind hier also kein Kardinalssekretär in geheimer Mission mehr, wie?, dachte Bellino und legte sich in Gedanken schon ein paar Bemerkungen darüber zurecht, während sie sich fast den Hals verrenkte, um so viel wie möglich von dem Schiff zu sehen. Wenn die venezianische Schebecke ein betriebsamer, aber dünner Straßenverkäufer gewesen war, so erinnerte sie das türkische Schiff an eine behäbige Marktfrau, die auf ihrem Korb saß und ihre Waren feilbot. Der Bug lag tief, und die wuchtige Breite glich einer vom Wind aufgeblähten Schürze. Die wenigen Matrosen, die sie auf Deck sehen konnte, waren nicht anders gekleidet als auf dem anderen Schiff; bis auf die Griechin war auch keine weitere Frau unter ihnen. In der Kajüte, in die sie der Kapitän führte, befanden sich eine kleine Öllampe, mit grünem Glas umrundet, und mehrere kleine Teppiche, die sehr viel feiner geknüpft schienen als diejenigen, die Bellino je gesehen hatte.
    »Fassen Sie nur in den Flor dieser Teppiche«, sagte er zu Casanova und Bellino. »Teppiche, die ich verkaufe, sind nicht spröde und trocken, oh nein. Sie sind aus ordentlich fetter Wolle gemacht und brechen auch dann nicht, wenn man sie zwirbelt.«
    Obwohl sie nicht das Geld hatte, um etwas zu kaufen, und bezweifelte, dass Casanova dergleichen plante, kniete Bellino nieder und ließ ihre Finger in die angepriesenen Teppiche sinken. Da heller Tag war, hatte der Türke die Öllampe nicht entzündet, und das Licht in der Kajüte, das durch das vergitterte Fenster drang, war dämmrig; das Rot und Blau der verwendeten Farben war trotzdem kräftig genug, um die Schönheit der Muster zu offenbaren, und die Fasern unter ihren Händen

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