Verfuehrung
meinerseits ganz bestimmt nicht beklagen.«
»Und das von einem Abbate. Dass Sie es nicht mit Armut, Enthaltsamkeit und Keuschheit halten, wusste ich, aber wenn Sie nun auch noch Heidengötter verehren, dann frage ich mich, wofür die Kirche Sie eigentlich bezahlt.«
»Geheimverhandlungen mit den Türken, das sagte ich doch«, gab er mit todernster Miene zurück und brachte sie ein weiteres Mal zum Lächeln. Vielleicht war das sein Talent; man befand sich gerne in seiner Gesellschaft, auch wenn man gelegentlich zornig auf ihn wurde, doch es war unmöglich, sich mit ihm zu langweilen.
Da sie mittlerweile das eigentliche Hafengebiet erreicht hatten, war der Geruch nach Fisch und Salz durchdringend. Leiterwagen mit Handelswaren drängten sich an ihnen vorbei, und oft sah man auf Säcken das Wappen von Ancona, mit den überkreuzten Schlüsseln unter der päpstlichen Mitra, die verrieten, dass die Stadt zum Kirchenstaat gehörte.
»Dann besteht eigentlich kein Grund für Sie, nicht hier ein Schiff zu nehmen«, sagte Bellino, »und in Konstantinopel Ihre Mission zu erfüllen. Muss ich mich schuldig fühlen, weil ich Sie nun bis Rimini auf dem Land festhalte?«
»Wenn ich ja sage, werden Sie mir dann Ihre Weiblichkeit gestehen?«
»Warum ist es Ihnen denn so wichtig«, fragte sie in aufrichtiger Neugier, »in mir eine Frau zu sehen? Geht es Ihnen nur um das Rechthaben? Oder meinen Sie, dass Sie weniger ein Mann sind, wenn Sie sich eingestehen müssen, mit einem anderen Mann ins Bett gehen zu wollen? Ist Ihnen das wirklich vorher noch nie geschehen?«
»Oh, ich war schon einmal im Bett eines anderen Mannes«, sagte er. »Genauer gesagt, in dem eines anderen Jungen, als mein Vormund darauf bestand, mich in ein Seminar zu stecken, obwohl ich bereits von der Kanzel gepredigt hatte. Es war eine höchst effektive Methode, um umgehend aus dem Seminar hinausgeworfen zu werden und meinen Vormund davon zu überzeugen, mich endlich meinen eigenen Weg gehen zu lassen. Es war die keuscheste Nacht, seit ich meiner Kindheit entkommen bin. Und da ich mich auch nach einer solchen Erfahrung nicht zu Männern hingezogen fühle, müssen Sie eine Frau sein.«
»Ich weiß nicht, was man Sie in diesem Seminar gelehrt hat, aber Logik kann es nicht gewesen sein«, gab sie zurück und beschirmte ihre Augen, um zu sehen, was für Schiffe im Hafen lagen. Eines davon zeigte die venezianische Flagge, den Löwen von San Marco, der golden auf rotem Grund prangte; das andere die türkische.
»So ein Ereignis beweist doch nur, dass dieser eine Junge für Sie nicht reizvoll war. Es sagt nichts über alle anderen Männer auf dieser Welt aus. Sie fühlen sich doch auch nicht zu allen Frauen hingezogen, oder?«
Er schwieg, und sie schaute, wegen seiner Größe, unvermeidlich zu ihm auf. In der Morgensonne sah man das Puder und die Pomade in seinem Haar glitzern, das dunkel wie ihres war, doch glatt statt lockig. Er schien überhaupt nicht gerne Perücken zu tragen und hatte das bei seinem kräftigen Schopf auch nicht nötig. Seine Augen kamen ihr heute eher grün vor, doch das lag auch daran, dass er einen olivfarbenen Rock und grüne Hosen gewählt hatte. Er hatte nie weniger einem Abbate geglichen als in diesem Augenblick, da er die Stille zwischen ihnen sich ausdehnen ließ, ohne sie als Erster zu brechen und ohne die Augen niederzuschlagen. Warum auch? Es erinnerte sie an die Trillerübungen, die sie machte, um ihre Arien gebührend verzieren zu können; je länger man einen Ton anhielt, desto mehr war es möglich, die Erwartungen der Zuhörer zu wecken und noch weiter zu steigern.
»Jede Frau?«, fragte sie schließlich, sich eingestehend, dass sie diese Runde verloren hatte. »Wirklich jede?«
»Nicht jede im gleichen Maß«, gab er zu. »Beispielsweise glaube ich, Sie könnten mich mit Ihrer Mutter alleine lassen, ohne einen Angriff auf deren Tugend befürchten zu müssen. Aber wenn wir gemeinsam auf einer einsamen Insel gestrandet wären und es niemand anderen außer uns dort gäbe, dann könnte sich das ändern. Ihre Mutter hat ein angenehmes Lachen, und auch wenn ihre Figur, nun, ausladend ist, so gibt es bei jedem Schwimmer nach einer langen Flaute Momente, wo er sich Wellen statt eine glatte Oberfläche wünscht, anstatt vor Langeweile umzukommen.«
»Frauen sind keine Wassertropfen im Meer. Sie sind Menschen, und wenn Sie wirklich jede wollen, dann wollen Sie doch eher keine, weil Sie sich gar nicht die Mühe machen, sie unterscheiden
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