Verführung auf Burg Kells (German Edition)
wirklich?“
Nach kurzem Zögern gab sie ihm eine ehrliche Antwort. „Ja“, sagte sie. „Der heutige Tag hat bewiesen, dass ich dich brauche.“
„Dann begleite mich nach Lanercost.“
„Aber das liegt viele Meilen von Carlisle entfernt. Ich
muss
versuchen, meine Mutter zu finden.“
„Ich weiß. Ich werde dir dabei helfen. Aber ich möchte, dass du jemanden kennen lernst.“ Seine Bewegungen wurden rhythmischer, hinderten sie daran, klar zu denken. „Und außerdem brauche ich dich auch. Hast du vergessen, dass ich dir versprochen habe, dich nicht allein zu lassen?“
„Dieses Versprechen hast du im Zorn gegeben.“
„Das zählt nicht. Es ist mir ernst damit. Du bist meine Frau, Ebony. Ich werde dich nicht verlassen und kann nicht zulassen, dass du mich verlässt. Komm mit mir. Damit verlieren wir keine Zeit.“
Was sagte er da? Ergaben seine Worte einen Sinn? War das nur wieder ein zärtliches Necken, das sich in ihre Liebesnächte eingeschlichen hatte, als wolle er sie damit für die kühle Distanz entschädigen, mit der sie einander bei Tag begegneten? „Ich mache dir einen Vorschlag“, raunte sie an seinem Ohr. „Wenn du es jetzt noch einmal schaffst, hast du gewonnen. Dann begleite ich dich.“
„Diese Herausforderung nehme ich gerne an, Liebste“, sagte er und lachte dunkel.
Sie aber schloss die Augen, und ihr war nicht nach Lachen zu Mute.
Der nächste Tag war ein Sonntag, und Lanercost lag beinahe zwei Tagesritte östlich von Dumfries auf der anderen Seite des alten Befestigungswalls, den der römische Kaiser Hadrian vor vielen Jahrhunderten hatte erbauen lassen. Ebony wagte nicht danach zu fragen, welcher Auftrag Alex nach England führte, und er hatte offenbar nicht den Wunsch, sie darüber aufzuklären. Sie bemerkte lediglich sein siegesgewisses Lächeln, mit dem er sie zum Frühmahl in der Gaststube empfing und ihr ein Kissen unterschob, bevor sie sich setzte.
Der östliche Teil der Stadt und das dahinter liegende Ödland hielt ihr die Not und das Elend der Bewohner wieder vor Augen. Seit gestern lasteten die neuen Eindrücke schwer auf ihrem Gewissen, und in den bangen Stunden ihrer Gefangenschaft in dem dunklen Verschlag mit den Ratten, die im Stroh raschelten, war es ihr gelungen, ihre Ängste ein wenig zu beschwichtigen, indem sie Pläne machte, wie sie den Notleidenden in ihrer Umgebung helfen könnte. Solange sie noch Herrin auf Castle Kells war, wollte sie sich bemühen, einen Teil der Schuld abzutragen, die ihr Schwiegervater auf sich geladen hatte.
Während sie an Sir Alex’ Seite ritt, erzählte er ihr ausführlich von Davy Moffats dunklen Geschäften, über die er und Master Hugh die redseligen Gäste beim Leichenmahl ausgehorcht hatten. Weitere Auskünfte hatten sie von den Verwundeten erhalten, die ihren Herrn auf seinem letzten Raubzug begleitet hatten, sowie von den gefangenen Söldnern nach dem Überfall auf die Burg, von dem diebischen Lagerverwalter und zu guter Letzt aus Quellen in Dumfries. Dass sie Alex lediglich als Lockvogel bei Davys Festnahme gedient hatte, war Ebony längst klar geworden, aber sie beklagte sich nicht darüber. Was sie allerdings tief erschütterte, war das Ausmaß von Davys Habgier und sein krankhafter Ehrgeiz, mit dem er seine Ziele verfolgte.
Vor vielen Jahren hatte er den Wunsch gehabt, wie Alex erklärte, die blutjunge, kaum vierzehnjährige Ebony Nevillestowe zu ehelichen, die einzige Tochter der wohlhabenden Witwe Lady Jean. Die Nevillestowes waren in Carlisle eine angesehene Familie, und ein Schotte, der in die Familie einheiratete, legte damit den Grundstein zu Reichtum und Ansehen für seine Zukunft. Doch zu Davys Enttäuschung war sein Onkel ihm zuvorgekommen, Ebony wurde mit Robert Moffat verlobt und nach Castle Kells geschickt, während Davys Ehe bald ein tragisches Ende fand, als seine junge Frau und das Neugeborene im Kindbett starben.
Davy war mittlerweile in illegale Geschäfte verwickelt, die er geschickt hinter seinem Weinhandel kaschieren konnte. Langsam und beharrlich zog er Sir Joseph in seine Machenschaften und überredete ihn, Waren auf Castle Kells zu lagern und von dort aus zu verteilen, wobei Sir Joseph keine Kenntnis davon hatte, dass sein Neffe diese Waren über dunkle Kanäle, Schmuggel und Freibeuterei erworben hatte. Der alte Lord hatte Davy nicht nur blind vertraut, er hatte sich auch in seiner Position als Friedensrichter für unantastbar gehalten. Dazu kam, dass die Lage von Castle Kells, eine Burg,
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