Verführung der Finsternis: Roman (German Edition)
schaurige Männerstimme sagte: »Was zum Teufel – du hast mich gebissen!«
Ard-siúrs Katze flitzte an Sabrina vorbei und jagte den Korridor hinunter, gefolgt von einer riesigen Gestalt, die pechschwarz aussah vor den grauen und silbernen Schatten hinter ihr.
»Daigh?«
Er verhielt verblüfft den Schritt. »Sabrina? Sind Sie das?«
»Was tun Sie hier?« Ein ungutes Gefühl kroch ihr den Rücken hinauf. War es möglich, dass sie Daigh beim Stehlen erwischt hatte? Es gab nicht viel in Ard-siúrs Arbeitszimmer, was einen Einbrecher in Versuchung führen könnte. Die Schätze, die dort aufbewahrt wurden, waren persönliche und nicht gewinnbringend für einen Dieb. Trotzdem könnte noch genug zu finden sein für einen entschlossenen Ganoven. Und Daigh war sehr entschlossen.
»Nichts, was Sie beunruhigen müsste«, antwortete er und leckte sich die Haut zwischen Daumen und Zeigefinger. »Im Büro Ihrer Priorin hatte ich vorhin einen Geistesblitz. Ein Gefühl, dass ich schon einmal dort gewesen war. Dass mir etwas bekannt vorkam. Es klingt verrückt, aber ich musste zurückkommen …«
»Das ist ja wunderbar! Was war es, was die Erinnerung hervorrief?« Sabrina stellte sich auf die Zehenspitzen, um über seine Schulter in den dunklen Raum zu spähen.
Er seufzte. »Keine Ahnung. Und wenn ich versuche, es zu erzwingen, stoße ich gegen eine verdammte Mauer. Ich weiß es einfach nicht mehr.« Verbitterung stand ihm ins Gesicht geschrieben und verkrampfte seine Nackenmuskeln. »Es macht mich wahnsinnig.«
»Kommen Sie! Gehen wir zusammen hinein!« Bevor sie sich über die Klugheit ihrer Handlungsweise Gedanken machen konnte, ergriff sie seine Hand, führte ihn in das dunkle Arbeitszimmer und zündete mit ein paar gewisperten Worten die nächststehende Kerze an.
Nichts schien verändert zu sein in dem überladenen Zimmer, nichts deutete darauf hin, dass es durchsucht oder irgendetwas gestohlen worden war. Zusammen blieben sie in der Mitte des Raumes stehen, Daigh ganz steif vor Anspannung.
Hoffnungslos. Bekümmert. Trostlos und verwirrt.
Seine Gefühle hämmerten in einem unerbittlichen mentalen Angriff auf Sabrina ein, und ein greller Kopfschmerz schoss ihren Rücken bis in ihre Zehen hinunter. Mit aller Kraft bemühte sie sich, einen freien Raum in dem Wirrwarr fremder Gefühle zu schaffen, das sich in ihrem Kopf drehte. Platz genug, um über das Chaos in ihrem Gehirn und die vor ihren Augen tanzenden Punkte hinauszudenken.
»Alles in Ordnung?«, fragte er und richtete die dunklen Augen auf sie. Das spärliche Licht flimmerte über sein stoppeliges Kinn, seine leicht gebogene Nase und die breite Stirn.
Sabrina blieb die Antwort in der Kehle stecken. Sie versuchte, sich von seinem fesselnden Blick loszureißen, musste aber feststellen, dass sie vollkommen gefangen davon war. Außerstande, sich zu bewegen, und kaum noch in der Lage, Luft zu holen. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte sie das Gefühl zu fallen. Wind pfiff an ihren Ohren vorbei, Dunkelheit hüllte sie ein, und Daighs Gesicht erfüllte ihr Blickfeld – oder doch nicht wirklich sein Gesicht. Er war irgendwie anders. Doch inwiefern? Ihr blieb keine Zeit, darüber nachzudenken, bevor er von ihr zurücktrat und die gefährliche Verbindung zwischen ihnen abbrach.
»Sabrina?«, hakte er nach. »Was ist mit Ihnen? Antworten Sie mir!«
Sie fasste sich wieder und war plötzlich so müde, als hätte sie eine Woche auf der Krankenstation gearbeitet, ohne zwischendurch auch nur ein wenig auszuruhen. Ihre Augen juckten und brannten, ihre Muskeln schmerzten, aber der Kopfschmerz verringerte sich auf ein hartnäckiges Pochen in den Schläfen. Sie hielt noch immer das Tablett in der Hand und empfand die alltäglichen Gerüche von Schinken und Kartoffeln als seltsam tröstlich vor dem Hintergrund aus Dunkelheit, Geheimnis und Magie, die diesen Mann umgaben wie eine Aura. »Ich weiß nicht. Für einen Moment war mir, als würde ich in Ohnmacht fallen. Und Sie waren …« Er zog die Brauen zusammen, und seine Augen waren wie Obsidiansplitter in seinem grimmigen Gesicht. »Ach, vergessen Sie’s! Ich bin müde und habe noch nichts gegessen. Das muss es gewesen sein.«
Wortlos nahm er ihr das Tablett ab und bot ihr den Arm, um sie zu stützen. »Kommen Sie! Es hat keinen Zweck. Ich erinnere mich an nichts.«
Sie nickte und erlaubte ihm, sie zu stützen und hinauszuführen. Sich an ihn zu lehnen war, wie sich an einen Baum zu lehnen. Er war genauso standhaft, stark
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