Verführung der Nacht: Ein Vampirthriller (German Edition)
eindringen kann. Ja, ich kämpfe gegen eine leichte Panik an. »Könnten Sie jetzt bei mir vorbeikommen? Oder kann ich zu Ihnen kommen? Wir müssen über Max sprechen.«
»Nun«, sagt er, »das trifft sich gut, ich habe nämlich auch etwas, worüber ich mit Ihnen sprechen will. Möchten Sie vielleicht hierherkommen?«
»Und wo ist hier?«
»Kennen Sie Mount Soledad?«
Jeder an der Küste kennt Mount Soledad. Das ist eine der schicksten Ecken im schicken La Jolla. Ein Vampir, der Arzt ist. Wo sonst sollte er wohnen? »Geben Sie mir die genaue Adresse?«
Ich hole mir einen Zettel und schreibe sie auf. »Ich könnte in zwanzig Minuten dort sein.«
»Gut. Ach, Anna?«
»Ja?«
»Ziehen Sie sich was Hübsches an. Ich habe Gäste, denen ich Sie gern vorstellen würde.«
Damit legt er auf.
Ich lege das Telefon weg und runzle die Stirn über das, was sein Tonfall und seine Worte angedeutet haben. Am liebsten würde ich einfach so hingehen, wie ich gerade bin, in den OP-Klamotten, die er mir so großzügig geliehen hat, als ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde.
Andererseits werde ich vielleicht gleich einige aus meiner neuen Vampirfamilie kennenlernen. Und der erste Eindruck ist immer besonders wichtig, nicht wahr?
Bei der Arbeit fahre ich einen Ford Crown Victoria, dasselbe Modell wie die meisten Cops und mit ähnlicher Ausstattung an Zubehör. Zum Vergnügen fahre ich ein zwei Jahre altes Jaguar XKR-Cabrio in British Racing Green. Die Raten und die Versicherung kosten mich im Monat etwa so viel wie die Hypothekenraten für ein kleines Haus. Aber das ist mein einziger Luxus, und da mir mein Häuschen schuldenfrei gehört, kann ich mir das leisten.
Als ich in Dr. Averys Auffahrt einbiege, habe ich die Gewissheit, dass zumindest mein Auto zu denen seiner Gäste passt. Ich parke zwischen einem silbernen Lexus und einem dicken Mercedes. Und sagte ich Auffahrt? Ich steige aus dem Auto und blicke die gewundene, von Bäumen gesäumte Privatstraße entlang, die vom Tor an der Einfahrt bis vor diese Villa einen knappen Kilometer lang sein dürfte.
Ganz schön beeindruckend, selbst für diese Wohngegend. Entweder der Arztberuf oder der Vampirismus wird verdammt gut bezahlt.
Auf mein Klingeln hin öffnet Dr. Avery selbst die Tür. Er hat sich richtig herausgeputzt und trägt einen dunkelblauen Anzug mit cremeweißem Hemd und roter Seidenkrawatte. Glänzende schwarze Halbschuhe lugen unter den Säumen der maßgeschneiderten Hose hervor. Sogar sein wildes Haar liegt, offenbar mit Schaumfestiger gezähmt, brav an seinem Kopf. Jeder Zoll der Gentleman vom Lande.
Ich ziehe eine Augenbraue hoch. Ich hätte erwartet, dass ein Diener die Tür öffnet.
Die Dienstboten haben heute Abend frei, erwidert er und führt mich mit einer Hand in meinem Rücken hinein. Willkommen in meinem Haus. Sie sehen übrigens auch ganz prächtig aus.
Hatte ich gesagt, er sehe prächtig aus? Ich muss besser aufpassen, was ich denke. Und nun frage ich mich auch, was ich mir dabei gedacht habe, Avery zu besuchen. Ich kann mich selbst schon nicht vor Wesen beschützen, die nach Belieben in meine Gedanken eindringen können. Wie soll ich da Max beschützen? Was ich Avery zu sagen habe, muss unter uns bleiben. Max’ Sicherheit hängt davon ab.
Max wird nichts geschehen, versichert Avery mir. Vergessen Sie nicht, dass Sie die Gedanken meiner Gäste ebenso lesen könnten wie diese die Ihren. Wir haben alle unsere Geheimnisse.
Das beruhigt mich allerdings nicht. Er führt mich durch ein gewaltiges Foyer in ein Wohnzimmer, das mehr Quadratmeter haben muss als mein ganzes Haus. Eine Wand besteht vom Boden bis zur Decke aus Fenster, an einer anderen befindet sich ein riesiger steinerner Kamin, so groß, dass man aufrecht darin stehen könnte. Ein paar Leute sitzen dicht beieinander vor dem prasselnden Feuer. Ich zähle sechs, drei Männer und drei Frauen, die sich mit leisen Stimmen unterhalten und uns offenbar noch nicht bemerkt haben.
Die Männer sind alle Mitte vierzig und tragen graue oder dunkelblaue Anzüge. Ihre fesselnden Gesichter sind auf kantige Weise attraktiv, ihre Körper unter den exquisit geschnittenen Anzügen wirken schlank und fit. Die Frauen sind ebenfalls elegant in Armani und Gucci gekleidet, an ihren Ohren und Hälsen glitzern teure Steine. Alle nippen an Martini-Gläsern und unterstreichen ihre Worte mit perfekt manikürten Gesten.
Das sind die Leute, die man auf den Gesellschaftsseiten der Zeitung und in Hochglanzmagazinen
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