Verführung der Nacht: Ein Vampirthriller (German Edition)
schmecken wird, deshalb trifft mich der vollendete Geschmack völlig überraschend. Der Wein ist vollmundig und trocken und schmeckt elementar, als sei er nicht nur aus Trauben, sondern auch aus Erde und Meer gemacht. Ich trinke einen zweiten Schluck und lächle.
Er schmeckt Ihnen.
Ja. Und ja, ich bin überrascht. Ich bin keine Weinkennerin. Ich habe nicht den Gaumen dafür, zumindest dachte ich das immer.
Ich hebe das Glas. Oder ist das auch eine meiner neuen Fähigkeiten als Vampir? Blut und Wein, Elixiere des Lebens?
Avery lacht und beobachtet mich über den Rand seiner Brille hinweg mit schief gelegtem Kopf. Nein, das ist keine Vampirfähigkeit. Im Grunde nicht. Aber Sie werden feststellen, dass Sie eine Menge Dinge bisher falsch eingeschätzt haben, Anna.
Sein intensiver Blick fesselt mich einen langen Augenblick. Wieder kann ich seine Gedanken nicht lesen, aber plötzlich hängt zwischen uns etwas Sinnliches in der Luft.
Ich reiße den Blick von seinen Augen los und stehe auf. Deshalb bin ich nicht hierhergekommen.
Er erhebt sich ebenfalls. Ich weiß. Sie sind hier, um über Max zu sprechen.
Max. Ja. Sein Name reicht aus, um mich in die Wirklichkeit zurückzuholen. Ich schaue zu den Fenstern hinüber und in das Wohnzimmer dahinter, wo das Feuer, das sich im Glas spiegelt, zwei Gestalten als pechschwarze Silhouetten hervorhebt. Einen Mann und eine Frau. Vampire haben kein Spiegelbild. Avery hat Lebende eingeladen, die ich kennenlernen soll?
Verwundert wende ich mich Avery zu. Sie sind nicht alle Vampire?
Er schüttelt den Kopf. Nein. Die Frau von Chief Williams und der Mann der Stellvertretenden Bürgermeisterin Davis sind Sterbliche.
Mein Blick huscht wieder zu den beiden hinüber. Wissen sie denn –?
Dass ihre Ehepartner Vampire sind? Ja, selbstverständlich.
Und sie akzeptieren es?
Sie akzeptieren ein Leben, so reich und erfüllt, wie sie es sich in ihren wildesten Träumen nicht hätten vorstellen können. In einer solchen Verbindung ist es immer der Vampir, der leidet.
Das hatte ich nicht erwartet. Ich drehe mich um und sehe ihn an. Averys Miene ist verschlossen, der Blick abweisend. Sie sind damit nicht einverstanden.
Es steht mir nicht zu, damit einverstanden zu sein oder nicht, erwidert er knapp.
Aber warum haben Sie dann gesagt, es sei der Vampir, der leidet?
Er wendet das Gesicht ab. Die Antwort auf diese Frage werden Sie mit der Zeit selbst herausfinden.
Er kehrt in die Bibliothek zurück und geht zu dem Sideboard, wo er sich noch ein Glas Wein einschenkt. Weder bietet er mir ein weiteres Glas an, noch kehrt er auf den Balkon zurück. Er setzt sich hinter einen großen Schreibtisch mitten im Raum und erwartet offenbar, dass ich mich ihm anschließe.
Ich verstehe nicht, was diese plötzliche Veränderung in seinem Verhalten ausgelöst hat, aber er hat sich wieder vor mir verschlossen, und mir bleibt nichts anderes übrig. Ich folge ihm.
Er wartet, bis ich ihm gegenüber Platz genommen habe, bevor er beginnt.
Wir haben wichtige Dinge zu besprechen. Es wird spät, und ich sollte mich wieder meinen Gästen widmen. Wenn Sie mich nicht begleiten möchten, schlage ich vor, dass wir sofort zur Sache kommen.
Ich nicke, doch meine Paranoia erwacht. Woher soll ich wissen, dass die Leute nebenan uns nicht hören können?
Avery neigt den Kopf zur Seite. Hören Sie.
Ich lausche. Leise Musik, klassisch, gedämpft und lieblich, treibt aus verborgenen Lautsprechern durch den Raum. Ich lausche angestrengt. Unter der Musik liegt ein Summen. Ein Rauschen?
Er nickt.
Weißes Rauschen. Verhindert die Übertragung von Gedanken von einem Raum zum anderen. Ich schätze meine Privatsphäre sehr und schütze auch die meiner Gäste.
Diese Sache mit den Stromkreisen, die Sie schon erwähnten?
Er nickt wieder.
Ich zögere, aber nur einen Augenblick lang. Ich muss Avery vertrauen.
Max ist Undercover-Agent bei der Drogenbehörde. Sein Leben hängt davon ab, dass unsere Beziehung geheim bleibt. Er besucht mich nur, wenn es absolut sicher ist. Nicht einmal ich weiß im Voraus, wann er auftauchen wird, deshalb müssen Sie mir unbedingt sagen, wie Sie herausgefunden haben, dass er bei mir war.
Avery schürzt die Lippen. Er hat seinen Verstand verschlossen, so dass ich nur warten kann, bis er bereit ist, mir zu antworten. Doch die Tatsache, dass diese Gedankenleserei plötzlich zur Einbahnstraße geworden ist, geht mir gewaltig auf die Nerven. Ich lasse es ihn wissen.
Sie werden den Dreh bald heraus
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