Verfuehrung im Harem
gegenüber nicht so einfühlsam. Nach dem Tod der Frau, die seine große Liebe gewesen war, hatte er sich vor allem darauf konzentriert, Bha’Khar wirtschaftlich und finanziell voranzubringen, sodass das Land international beachtet wurde. Die zahlreichen Affären hatten nur dazu gedient, seine körperlichen Bedürfnisse zu befriedigen.
Jetzt musste er sich eingestehen, dass Jessica keine Frau war, die er so leicht vergessen würde wie die anderen. Er hatte ein gutes Gespür für ihre Stimmungen, und sie war ihm nicht gleichgültig. Weshalb sie jetzt so in sich gekehrt war, wollte er unbedingt herausfinden.
Sie seufzte. „Meine Tante vermisst ihre Töchter, und ich habe das Gefühl, ich hätte sie jetzt auch im Stich gelassen.“
„Ihre Kinder kommen doch bald nach Hause.“
„Ja, auf Besuch“, erwiderte Jessica. „Ich finde es nicht richtig, dass Kinder schon in jungen Jahren die Eltern verlassen müssen, um am Schulunterricht teilzunehmen.“
„Das ist aber schon jahrzehntelang so“, wandte er ein.
„Was nicht bedeutet, dass es gut ist. Natürlich ist es besser als gar kein Schulunterricht. Ich habe auch nichts dagegen, dass die Menschen an Traditionen festhalten, aber manchmal ist die Zeit reif für Veränderungen.“
„Diese Menschen haben sich ihre Lebensweise selbst ausgesucht.“
„So wie ich mir eine Mutter ausgesucht habe, die sich so verzweifelt danach gesehnt hat, geliebt zu werden, dass sie keinen anderen Ausweg sah, als zur Flasche zu greifen, als sie keine Liebe fand? Oder so wie du dir deine reichen Eltern ausgesucht hast, die dir vorschreiben, wen du heiraten sollst?“
Dagegen hatte er sich einmal aufgelehnt, aber dann war es ihm egal gewesen. Seit er Jessica kannte, sah er vieles plötzlich anders, was ihn zunehmend beunruhigte.
Da die Pferde den Weg von allein fanden, legte er die Hand auf den Oberschenkel und sah Jessica an. „Was willst du damit sagen?“
„Das weiß ich selbst nicht so genau.“ Sie wandte sich ab und schüttelte den Kopf. „Wahrscheinlich versuche ich, zwei sehr verschiedene Lebensweisen in Einklang zu bringen. Du bist von Luxus umgeben aufgewachsen, während die Menschen, die in der Wüste leben, noch nicht einmal ein festes Dach über dem Kopf haben.“
„Das klingt wie ein Vorwurf. Ich brauche mich nicht zu rechtfertigen wegen des Reichtums, in den ich hineingeboren bin. Aber egal, wie es nach außen wirkt, mein Leben ist alles andere als perfekt.“
Sie begegnete seinem Blick. „Es war natürlich eine schmerzliche Erfahrung für dich, die Frau zu verlieren, die du geliebt hast. Und es wäre dumm und oberflächlich, dir zu raten, die Sache zu vergessen. Das Schicksal hat es jedoch insofern gut mit dir gemeint, als dass du beneidenswert viele Vorteile genießt, was aber auch bedeutet, dass du viel Verantwortung trägst.“
„Ja, das sehe ich auch so“, stimmte er ihr zu.
„Du bist für alle Menschen deines Landes verantwortlich, auch für die, die in der Wüste und in den Bergen leben. Du hast wahrscheinlich eine ganz besonders gute Erziehung und Ausbildung genossen, oder?“
„Sicher.“
„Vermutlich sind die Lehrer auch zu euch in den Palast gekommen.“
Ihm wurde klar, worauf sie hinauswollte, und er war froh, dass sie Sozialarbeiterin und keine Rechtsanwältin war. Immerhin hatte sie es geschafft, dass er das Gefühl hatte, etwas erklären zu müssen.
„Ich war ein guter Schüler und habe alle Examen auf der Universität mit Auszeichnung bestanden.“
Während sie ihn aufmerksam betrachtete, spiegelte sich in ihren Augen die Begeisterung, mit der sie ihre Überzeugung vertrat.
„Nützt dir die gute Ausbildung?“, fragte sie herausfordernd.
„Bei meiner Tätigkeit als Finanzminister nützt sie mir auf internationaler Ebene sogar sehr“, antwortete er.
„Und auf nationaler Ebene?“
„Meinst du jetzt speziell im Zusammenhang mit deinen Leuten?“
„Ja, so kannst du es nennen“, erwiderte sie. „Da ich diese Menschen kennengelernt habe, will ich sie natürlich nicht im Stich lassen. Das solltest du übrigens auch nicht tun.“
„Das habe ich keineswegs vor.“
Sie seufzte. „Ich weiß, internationale Beziehungen sind heutzutage für ein Land sehr wichtig. Doch noch wichtiger sind das eigene Volk und dessen Bedürfnisse. Ich denke da auch an meine Tante, die ihre Kinder nicht so oft sieht, wie sie gern möchte, weil sie ihnen eine gute Erziehung zuteilwerden lassen will. Und das kann sie nur im Rahmen der bestehenden
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