Verfuehrung im Mondlicht
erneut.
Der Junge sah zu, wie der Mann sich umdrehte und die Treppe hinunterging. Er verschwand in der dunklen Eingangshalle. Er würde in Mrs. Daltons Räumen nachsehen, ob sie da war.
Der Junge wusste etwas, was der Mörder nicht wusste. Mrs. Dalton war nicht in ihren Gemächern, weil sie heute Abend frei hatte. Sein Vater schätzte es nicht, wenn Dienstboten im Haus waren, während er seine illegalen Geschäfte abwickelte.
Wenn der Fremde entdeckte, das er sich keine Sorgen wegen eines erwachsenen Zeugens machen musste, würde er sich auf die Suche nach der einzigen Person begeben, die der Polizei erzählen konnte, was heute Nacht passiert war.
Der Junge warf einen Blick über das Geländer. Er würde es die drei Treppen bis zur Haustür nicht schaffen und sich in die Nacht retten können, bevor der Mörder zurückkam.
Er saß in der Falle...
7
Ambroses kleiner Zaubertrick funktionierte überraschend problemlos. Concordia war am nächsten Morgen mehr als nur beeindruckt über die Geschwindigkeit und die Koordination von Ambroses Plan, sie war beinahe ehrfürchtig. Es gab gewiss nur sehr wenige Männer auf der Welt, die jemanden so geschickt verschwinden lassen konnten.
»Der Trick dabei ist, alles so einfach wie möglich zu halten«, erklärte Ambrose ihnen, als er sie am Bahnhof absetzte. »Und nicht zu vergessen, dass die Leute sehen, was sie zu sehen erwarten.«
Dann war er selbst spurlos verschwunden. Doch kurz bevor der Zug den Bahnhof verließ, erhaschte Concordia einen Blick auf einen ungepflegten Bauern, der in einen der überfüllten Dritte-Klasse-Waggons stieg. Seine Art, sich zu bewegen, verriet ihr, dass es sich bei diesem Mann um Ambrose handeln musste.
Einige Stunden und zahlreiche Aufenthalte in kleineren Städten und Dörfern später, die den Reisenden erlaubten, sich die Beine zu vertreten, stiegen vier vornehme junge Damen und ihre Lehrerin in einem geschäftigen Londoner Bahnhof aus dem Erste-Klasse-Waggon. Von dort aus begaben sie sich sofort in eine Mietdroschke. Das Fahrzeug fädelte sich in den dichten Verkehr ein und verschwand im nachmittäglichen Dunst.
Eine Stunde später schlenderten vier junge Leute der Arbeiterklasse aus einer stark besuchten Einkaufspassage. Sie trugen Kappen, Hosen, Schals und Mäntel. Sie folgten einer Blumenverkäuferin, die einen zerfetzten Umhang übergeworfen hatte.
Die kleine Gruppe schlängelte sich über einen betriebsamen Gemüsemarkt und stieg in einen leeren Bauernkarren. Über die Pritsche war eine Plane gespannt, welche die Passagiere verbarg.
Durch einen Schlitz im Segeltuch konnte Concordia gelegentlich einen Blick auf die Gegend werfen, durch die sie fuhren. Nach kurzer Zeit machten das Treiben und der Lärm des Marktes einem Labyrinth aus winzigen Gassen und engen dunklen Straßen Platz. Ihnen folgten gut besuchte Geschäfte und bescheidene Heimstätten. Auch diese Szenerie strich an ihnen vorbei, bis sie schließlich in ein Viertel gelangten, in dem elegante Stadthäuser und schöne Plätze einander abwechselten.
Zu Concordias Verblüffung rumpelte der Bauernkarren schließlich durch die schweren, schmiedeeisernen Portale einer dieser großen, eleganten Villen und kam klappernd auf dem gepflasterten Innenhof zum Stehen.
Die Leinwand am hinteren Ende des Wagens wurde zurückgeschlagen. Ambrose, der einen Schlapphut und die derbe Kleidung eines Landwirts trug, schaute vom Kutschbock auf sie herunter.
»Willkommen in Eurem neuen Quartier, meine Damen.« Er warf einem großen, schlaksigen Mann die Zügel zu. Der Mann trug die Kleidung eines Gärtners und musste um die vierzig Jahre alt sein. »Das ist Mr. Oates. Oates, ich möchte dir Miss Glade und ihre vier Schülerinnen vorstellen, Phoebe, Hannah, Theodora und Edwina. Sie werden eine Weile bei uns wohnen.«
»Ladys.« Oates tippte sich an die Mütze.
»Es ist mir ein Vergnügen, Euch kennen zu lernen, Mr. Oates«, erklärte Concordia.
Die Mädchen begrüßten ihn fröhlich.
Oates schien sich über die höflichen Grüße zu freuen, ja, sie schienen ihn fast ein wenig verlegen zu machen. Er murmelte etwas Undeutliches und wurde rot.
Zwei große, schlanke Hunde mit spitzen Ohren und scharf geschnittenen Köpfen sprangen vor und blieben unmittelbar vor der kleinen Gruppe stehen. Unter ihrem kalten, fast intelligenten Blick sträubten sich Concordia die Nackenhaare. Die Tiere erinnerten sie an einen ägyptischen Gott mit einem Hundeschädel, den sie einmal in einem Museum gesehen
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