Verfuehrung im Mondlicht
erklärte Ambrose.
»Wie aufregend«, hauchte Hannah. »Genau wie in einem Roman.«
Concordia lächelte zum ersten Mal, seit sie sich in der Bibliothek versammelt hatten. »Das ist wahr, Hannah. Ihr vier seid tatsächlich in eine Art Kriminalgeschichte verwickelt, und zwar in eure eigene. Wir versuchen jetzt, den Bösewicht in diesem Stück ausfindig zu machen.«
»Was wollt Ihr wissen?«, erkundigte sich Phoebe.
Ambrose sah sie an. »Zunächst einmal, Phoebe, haben wir Grund zu der Annahme, dass Eure Tante, Winifred Leyland, noch am Leben ist und nach Euch sucht.«
»Tante Winifred?« Phoebe starrte ihn fassungslos an. »Sie lebt? Aber Onkel Wilbert hat doch erzählt, dass sie an einem Fieber gestorben ist.«
Ambrose warf einen Blick auf den Brief vor sich auf dem Schreibtisch. »Vor etwas mehr als zwei Monaten hat sie noch gelebt, und zwar in einem Dorf namens High Hornby.«
»Da wohnt sie«, flüsterte Phoebe. »Sie lebt dort schon seit vielen Jahren. Aber warum sollten Onkel Wilbert und Tante Mildred mir sagen, dass sie gestorben ist?« Ihre Fassung bröckelte.
Concordia war aufgesprungen und trat an Phoebes Seite. Sie legte den Arm um die bebenden Schultern des Mädchens.
»Es ist schon gut, Liebes«, sagte sie leise. »Ich verspreche dir, dass wir deine Tante finden werden, wenn sie tatsächlich noch lebt.«
Phoebe schniefte ein paar Mal und schaute Concordia dann verständnislos an. »Ich verstehe das nicht, Miss Glade.«
»Das tut keiner von uns«, erklärte Ambrose. »Noch nicht.
Aber wir werden es am Ende alles klären. Also, der Brief Eurer Tante beweist, dass man ihr erzählt hat, Ihr wärt bei einem Bootsunglück ertrunken. Habt Ihr eine Ahnung, wie sie auf diese Idee kommen konnte?«
Phoebe schüttelte langsam den Kopf. »Mein Vater ist mit mir auf dem Fluss häufiger Boot gefahren. Er hat mich schwimmen gelehrt, für den Fall, dass ich einmal ins Wasser fallen würde. Aber ich bin nicht mehr mit dem Boot gefahren, seit er krank geworden ist. Kurz danach ist er gestorben.«
Ambrose faltete die Hände auf dem Schreibtisch und schaute die Mädchen der Reihe nach an. »Ich weiß, dass dies für Euch alle schmerzlich ist. Aber ich möchte, dass Ihr alle Euch an die Zeit zurückerinnert, als Ihr nach Winslow gebracht wurdet. Ich möchte die Namen und die Adressen Eurer Verwandten wissen, die Euch Edith Pratt übergeben haben.«
Diese Bitte schien die Mädchen zu verwirren.
»Mein Onkel hat mich gar nicht zu der Schule gebracht«, erklärte Phoebe. Eine steile Falte erschien über ihrer Nase.
Concordia runzelte die Stirn. »Willst du damit sagen, dass man dich allein in den Zug gesetzt hat?«
»Nein«, entgegnete Phoebe. »Onkel Wilbert hat mich zu einer Herberge gebracht. Dort hat ein Gentleman in einer Kutsche gewartet. Es war offenbar seine eigene Kutsche. Mein Onkel hat mich aufgefordert, in die Kutsche zu steigen, und mir gesagt, dass mich der Mann zu meinem neuen Heim bringen würde. Es war eine sehr lange Reise.«
Hannah traten die Tränen in die Augen. »Genauso war es bei mir auch. Meine Tante hat mich einem Fremden übergeben, der mich in seiner eigenen Kutsche mitgenommen hat. Seitdem habe ich sie nicht mehr gesehen.«
»So haben wir auch unser Heim verlassen«, mischte sich Edwina ein. »Das stimmt doch, Theodora?«
Theodora nickte stumm und suchte nach einem Taschentuch.
»Gütiger Gott.« Concordia sank vor den Mädchen auf die Knie und tastete nach ihren Händen. »Ihr habt nie erwähnt, dass ihr alle allein mit einem Mann weggeschickt wurdet. Ihr müsst ja schreckliche Angst gehabt haben. Hat er euch ... in irgendeiner Weise wehgetan?«
»Nein«, stieß Edwina heraus. »Er war weder grob noch unfreundlich. Wenn ich mich richtig erinnere, hat er auf der ganzen Fahrt kaum ein Wort mit uns geredet. Stimmt das nicht, Theodora?«
»Er hat die meiste Zeit nur Zeitung gelesen«, pflichtete Theodora ihrer Zwillingsschwester bei.
»Der Gentleman, der mich nach Winslow gebracht hat, hat mich ebenfalls ignoriert«, erklärte Hannah. »Ich hatte keine Angst vor ihm, nur vor dem Ort, zu dem wir fuhren.«
Phoebe nickte zustimmend. »Er hat mir nichts angetan, Miss Glade, wirklich nicht.«
Concordia lächelte sie unter Tränen an. »Das erleichtert mich sehr.«
Ambrose schaute sie an. »Hat dieser Gentleman, der Euch zu der Schule gefahren hat, Euch seinen Namen genannt?«
Die vier Mädchen schüttelten gleichzeitig die Köpfe.
»Könnt Ihr mir den Mann beschreiben?«,
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