Verfuehrung im Mondlicht
verändert.«
Sie legte ihm rasch einen Finger auf die Lippen. »Hör mir
zu. Ich weiß, was du denkst, aber du irrst dich. Du trägst weder die Verantwortung noch die Schuld für das, was in dieser Nacht passiert ist. Du hättest nichts tun können.«
»Ich war da, und ich wusste nicht, was ich tun sollte.«
»Du warst ein Junge, ein dreizehnjähriger Junge. Es ist schon erstaunlich, dass es dir gelungen ist, den Mörder zu überlisten und selbst mit dem Leben davonzukommen.«
Er antwortete nicht, versuchte jedoch auch nicht, sich aus ihrer Umarmung zu befreien.
»Hat die Polizei den Mann jemals erwischt, der deinen Vater umgebracht hat?«, fragte sie nach einer Weile.
Ambrose antwortete nicht sofort.
»Nein«, sagte er schließlich. »Sie hat ihn nicht erwischt.«
Ärger durchströmte Concordia. »Willst du sagen, dass am Ende nicht einmal der Gerechtigkeit Genüge getan wurde?« Sie konnte so gut mit ihm mitfühlen.
Ihr Zorn schien ihn zu überraschen.
»Es hat eine Weile gedauert«, sagte er dann ruhig. »Man könnte sagen, dass es schließlich eine Art Gerechtigkeit gab, aber es war keine wirkliche Rache.«
»Was meinst du damit?«
»Anscheinend hat es dem Mörder sehr viel Angst eingejagt, dass er mich nicht finden konnte. Er ging für vier Jahre nach Amerika. Als er zurückkehrte, wartete ich bereits auf ihn. Ich hatte einen raffinierten Plan ausgeheckt.«
»Und was ist passiert?«
Ambrose kniff die Lippen zusammen. »Als er zurückkehrte, lag er bereits im Sterben. Er hatte die Schwindsucht.«
»Und du hast entschieden, der Natur ihren Lauf zu lassen, stimmt’s?«
»Der Natur und dem Nebel von London.« Er zuckte mit
den Schultern. »Es erschien mir damals fast wie ein Akt der Gnade, ihn zu töten.«
»Hast du ihn aufgesucht?«
»Nein. Aber ich habe ihm eine Botschaft geschickt, in der ich ihn darüber verständigte, wer ich war und dass ich da draußen auf ihn lauerte und beobachtete, wie er langsam krepierte. Er hat seine Rückkehr nur knapp sechs Monate überlebt.«
»Und wie ist es dir ergangen, nachdem dein Vater getötet worden ist?«, wollte Concordia wissen. »Hast du bei Verwandten gelebt?«
»Ich hatte keine engen Verwandten. Mein Großvater war ein paar Jahre vor dem Mord an meinem Vater gestorben. Sonst gab es niemanden mehr.«
»Bist du in einem Waisenhaus oder Arbeitshaus gelandet?«
»Nein.«
»Was hast du denn dann gemacht? Du warst doch erst dreizehn Jahre alt.«
Er hob die Brauen. »Ich war kein Unschuldslamm, Concordia. Ich stamme aus einer langen Linie von Schurken und Betrügern. Mein Großvater hat sich zwar in der besseren Gesellschaft bewegt, aber er lebte davon, die Juwelen der wohlhabenden Menschen zu stehlen, die ihn in ihre Salons und Ballsäle einluden. Mein Vater war ein professioneller Betrüger. Bereits mit dreizehn hatte man mich zu selbstständigem Denken erzogen, so dass ich auch allein überleben konnte. Angesichts meiner besonderen Talente und meiner Erziehung gab es natürlich keinen Zweifel für mich, welche Karriere ich einschlagen würde.«
Sie räusperte sich. »Verstehe.«
»In der Nacht, in der mein Vater ermordet wurde, habe ich meinen Namen geändert. Kurz darauf fing ich an, mein Geld damit zu verdienen, durch hohe Fenster in Häuser einzusteigen und wertvolle Dinge zu stehlen.« Seine Miene war ausdruckslos. »Verstehst du jetzt? Ich bin ein professioneller Dieb, Concordia. Ich wurde in diesen Beruf hineingeboren und habe ihn sehr erfolgreich ausgeübt.«
»Nicht mehr«, widersprach sie hitzig. »Jetzt bist du ein professioneller Ermittler.«
Ambrose zuckte mit den Schultern. »Das ist, ehrlich gesagt, kein großer Unterschied. Der Beruf verlangt ähnliche Fertigkeiten, und ich erledige immer noch einen großen Teil meiner Arbeit des Nachts.«
Sie umklammerte die Ränder seines Hemdes. »Du weißt sehr wohl, dass es einen sehr bedeutsamen Unterschied zwischen der Arbeit gibt, der du jetzt nachgehst, und dem, mit dem du dich all diese Jahre zuvor über Wasser gehalten hast.«
Er schaute auf sie hinunter. Sie zerknüllte unwillkürlich sein Hemd zwischen ihren Fingern. Als er ihren Kopf anhob, hatten seine Augen einen merkwürdigen Ausdruck.
»Versuch nicht, einen Helden aus mir zu machen, Concordia«, sagte er. »Ich bin kein Ritter in schimmernder Rüstung.«
Sie lächelte ihn bebend an. »O doch, genau das bist du. Zugegeben, die Rüstung hat vielleicht an einigen Stellen ein paar Flecken abbekommen, aber das ist nach all den
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