Verfuehrung in bester Gesellschaft
erzählen, was los ist“, sagte Lucas. „Du bist mit einer geschwollenen Lippe und einer Wunde an der Wange hier hereingekommen und sagst, es wäre nichts. Ich glaube nicht, dass es stimmt.“
Rule holte tief Luft. Beide gingen mit nacktem Oberkörper und nur mit Hosen bekleidet zum Ankleideraum im hinteren Teil des Gebäudes.
„Vor einigen Tagen tauchte ein Kerl in meinem Kontor auf. Wir haben ein paar Hiebe gewechselt, ehe er begriff, dass ich ihm nicht meine Frau überlassen werde.“
„Wie bitte?“
Rule öffnete seinen Schrank und zog ein Leinenhandtuch heraus. „Violet ist nicht nach London gekommen, um die Ehe mit mir zu beginnen. Sie ist gekommen, um eine Annullierung zu verlangen. Offensichtlich wollten sie und dieser Jeffrey heiraten, sobald sie mich losgeworden und nach Boston zurückgekehrt ist.“
Lucas stieß einen leisen Pfiff aus.
„Genau.“
„Was also hast du ihm gesagt?“
„Ich habe ihm gesagt, dass er zu spät kommt. Dass Violet in jeder Hinsicht meine Ehefrau ist, und dass sich das nicht ändern wird. Ich habe ihm unmissverständlich geraten, dorthin zurückzukehren, woher er gekommen ist.“
„Glaubst du, dass er das tun wird?“
„Ich weiß es nicht. Solange er sich von Violet fernhält, ist es mir verdammt egal, was er tut.“
Lucas öffnete seinen Schrank und zog sein eigenes Handtuch heraus. „Ich vermute demnach, dass dir das Eheleben gefällt.“
Rule zuckte die Achseln. „Ich bin noch nicht lange genug verheiratet, um das zu beurteilen.“
„Aber bisher hast du keinen Grund zur Klage, oder?“
Rule sah zu ihm auf. „Warum interessierst du dich plötzlich so sehr für die Ehe?“
Lucas lachte nur und schüttelte den Kopf. „Das tue ich nicht. Ich war nur neugierig.“ Sie zogen sich beide aus und gingen zu einer Reihe von Eimern, die mit Wasser gefüllt waren. Beide seiften sich ein, stellten sich dann unter einen Eimer und zogen an der Kette, die damit verbunden war.
Rule erschauerte, als er die Seife abwusch, aber es tat ihm gut, zu trainieren, und das kalte Wasser belebte ihn.
„Was sagt Violet zu alledem?“, fragte Lucas und nahm den Gesprächsfaden damit wieder auf.
„Sie ist mit mir verheiratet, nicht mit ihm. Bisher hat sie sich noch nicht beschwert.“
„Nun, das ist ein gutes Zeichen, nehme ich an.“ Lucas trocknete sich das dicke braune Haar. „Geht ihr beide heute zum Ball bei Severns?“
Rule trocknete sich die Brust ab und nickte. „Ich dachte, es würde Violet vielleicht gefallen.“
„Vielleicht lenkt es sie von diesem Jeffrey ab.“
Rule warf dem Freund einen finsteren Blick zu. „Ich lenke sie von Burnett ab – daran solltest du nicht zweifeln.“
Lucas lachte, aber Rule meinte es vollkommen ernst. Während der vergangenen beiden Nächte war er viel zu wütend gewesen, um zu Violet ins Bett zu gehen. Morgens waren sie gemeinsam zur Arbeit gefahren, aber während des Tages hatten sie nur über Geschäfte gesprochen. Violet hatte sich als so geschäftstüchtig erwiesen, wie sie behauptet hatte. Es hatte ihn gleichermaßen verwirrt wie beeindruckt. Aber was auch immer geschah: Sie war seine Frau und die einzigen Pflichten, die sie zu erfüllen hatte, waren die in seinem Bett!
Er nahm sich vor, sie in dieser und jeder folgenden Nacht zu lieben. Mochte Violet auch denken, dass sie diesen Amerikaner liebte. Rule glaubte, dass die Leidenschaft, die sie gemeinsam erlebten, weit mehr bedeutete als die Gefühle, über die in romantischen Gedichten geschrieben wurde.
„Dann werde ich dich heute Abend also sehen“, sagte Lucas und schreckte ihn damit aus seinen Gedanken.
„Wir werden dort sein.“
Rule sah Lucas nach, während dieser davonging, und ein Verdacht beschlich ihn. Violet hatte ihre Cousine Caroline gebeten, sie zu begleiten. Das war doch wohl nicht der Grund, warum Lucas den Ball erwähnt hatte?
Rule schüttelte den Kopf. Er bildete sich etwas ein. Das Letzte, was Lucas Barclay wollte, war eine Ehefrau. Das amerikanische Mädchen war unschuldig. Lucas hatte sie erst einmal getroffen. Er konnte unmöglich an ihr interessiert sein.
Doch der Verdacht ließ ihn während der gesamten Heimfahrt nicht los.
Caroline verbrachte Stunden damit, das perfekte Kleid für den Ball an diesem Abend zu suchen, ein blassblaues Seidenkleid von derselben Farbe wie ihre Augen. Der Rock war unglaublich weit und öffnete sich vorn, sodass ein Unterrock in dunklerem Blau sichtbar wurde, der üppig mit Rosen bestickt war. Es hatte einen
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